Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Ensemble © Herwig Prammer

Ensemble © Herwig Prammer

GUILLAUME TELL Grand opéra zur Schweizer Geschichte

Adam Kim © Herwig Prammer

Adam Kim (Guillaume Tell) © Herwig Prammer

Der Beweis, dass Rossinis letzte Oper mehr ist als eine grandiose Ouvertüre

Am Pult des Bruckner Orchesters Linz steht Enrico Calesso, ein Italiener, der erfreulicherweise zu den ständigen Gastdirigenten des Musiktheaters zählt. Wenn dann noch ein Opus magnum seines Landmannes Gioacchino Rossini auf dem Programm steht, darf ein hervorragendes Hörerlebnis erwartet werden. „Guillaume Tell“ unterscheidet sich in der Ernsthaftigkeit des Inhalts wesentlich von den anderen Bühnenwerken, die der Meister des Belcantos in einer erstaunlich kurzen Schaffensphase komponiert hat. Zugrunde liegt das deutsche Drama „Wilhelm Tell“ von Friedrich Schiller, das in klassischer Akribie den Kampf der jungen Eidgenossenschaft gegen die Herrschaft der Habsburger beschreibt. Die französischen Librettisten Étienne de Jouy und Hippolyte Bis waren jedoch angehalten, die Handlung für Musik aufzubereiten und großen Gesangseinlagen Raum zu verschaffen. Damit entstand Rossinis einzige vollständig durchkomponierte Grand opéra, die zugleich auch seine letzte Arbeit für die Bühne sein sollte. Maestro Calesso hat nun über die bekannte Ouvertüre hinaus die Genialität dieses Werks bis in die Details der Orchestrierung und die Tempi für die Soli als Empfehlung für das Ganze überzeugend herausgearbeitet.

Ensemble © Herwig Prammer

Ensemble © Herwig Prammer

Ensemble © Herwig Prammer

Ensemble © Herwig Prammer

Dass die Premiere ein Erfolg wurde, ist jedoch einzig und allein ihm und dem Ensemble zu verdanken. Es geht zu Herzen, wenn Erica Eloff als Prinzessin Mathilde ihre unerfüllbare Liebe zum Rebellen Arnold Melcthal beklagt. Der junge Mann hat sie aus einer Lawine gerettet und aus Dankbarkeit ist tiefe Zuneigung entstanden. Der strahlende Tenor Seunglick Kim hadert mit Standesunterschied und der politischen Unmöglichkeit, mit einer Vertreterin der Gegner liiert zu sein. Seine Landsleute gehen deswegen ruppig mit ihm um. Vor allem von Walter Furst (Bassist Dominik Nekel) und dem Protagonisten muss er Verachtung und Hiebe einstecken. Adam Kim ist ein kraftvoller Guillaume Tell, dem man auf der Stelle abnimmt, dass er den Häschern auf dem stürmischen See entkommen konnte. Skrupel setzen erst ein, als er von Landvogt Gesler verurteilt wird, seinem Sohn Jemmy den Apfel vom Kopf zu schießen.

Fenja Lukas macht es ihm mit dem Mut eines lebhaften Knaben jedoch leicht, auf sie zu zielen. Gregorio Changhyun Yun mit schlanker Stimme ist der Bösewicht, der sich in den um ihre Freihielt kämpfenden Schweizern verrechnet hat. Aber statt in der hohlen Gasse vom Pfeil aus der Armbrust getroffen zu werden, ersticht ihn Tell recht unprätentiös und führt damit die Helvetier zum Sieg. Was dabei die von Regisseur Georg Schmiedleitner eingesetzten Herrschaften ganz in Weiß zu suchen hatten, blieb bis zuletzt ein Geheimnis. Handelt es sich um das hygienisch gewandete Team eines OP-Saales, das anstelle von heilend mörderisch in den sturen schweizer Köpfen operiert? Sind sie symbolische Vertreter der Herrschaft, die mit kreischender Motorsäge einen kultischen Mammutbaum fällen. Aber was haben solche Gestalten oder das männliche Brautpaar bei der dreifachen Hochzeit im 14. Jahrhundert verloren? Die Folge: Ratlosigkeit! Eines wurde durch derlei Irritationen nicht verhindert: Souveräne Gewinner des Abends waren die Musik und eine der selten gespielten Opern Rossinis.

Adam Kim, Fenja Lukas © Herwig Prammer

Adam Kim, Fenja Lukas © Herwig Prammer

Ensemble und Bühne © Petra Moser

Ensemble und Bühne bei Il Viaggio © Petra Moser

IL VIAGGIO Mit Musik vertieftes Geschichtenerzählen

Génesis Beatriz López Da Silva, Christoph Gerhardus © Petra Moser

Génesis Beatriz López Da Silva, Christoph Gerhardus © Petra Moser

Zwei ergreifende Opern-Einakter über Reisen ohne Rückkehr

Novellen von Luigi Pirandello boten dem deutschen Opernkomponisten Alois Bröder den inspirierenden Stoff für zwei Opern-Einakter, die im Grund ein gesamtes abendfüllendes Werk ergeben. „Das Licht vom anderen Haus“ und „Die Reise“ sind nicht zu trennen. Die eine Geschichte erzählt über den vereinsamten Tullio Buti, der vergessen möchte. Ihn plagen die Erinnerungen an eine raue Kindheit mit einem brutalen Vater. Er mietet sich ein finsteres Zimmer, von dem aus er in die warm beleuchtete Wohnung der Familie Masci blicken kann, in ein Idyll mit Vater, Mutter Margherita und drei Kindern. Er verliebt sich in die Frau. Das Gefühl wird überraschend von ihr erwidert. Sie verlässt die Familie und geht mit Tullio. In der Sehnsucht nach ihren Kindern versucht sie eine Rückkehr, doch es bleibt beim schmerzlichen Blick aus dem Fenster in die ehemalige Wohnung. In „Die Reise“ wird die nach kurzer, unglücklicher Ehe verwitwete Adriana nach 13 Jahren aus dem eintönigen Alltag eines sizilianischen Dorfes gerissen. Der Grund ist allerdings eine schwere, zum baldigen Tod führende Krankheit. Mit ihrem Schwager Cesare führt sie der Weg über Ärzte in Palermo und Neapel weiter durch Italien und nach eingestandener Liebe zu Cesare bis zur Endstation Venedig.

Lily Belle Czartorski, Sophie Bareis, © Petra Moser

Lily Belle Czartorski, Sophie Bareis © Petra Moser

Christoph Gerhardus © Petra Moser

Christoph Gerhardus © Petra Moser

Die Intimität der Blackbox des Musiktheaters Linz erweist sich als der ideale Ort für eine Aufführung dieser beiden Werke. In der Mitte der Bühne erhebt sich ein Gerüst aus Fensterrahmen, das zuerst den Tisch von Familie Masci und später ein Bett für die verstorbene Mutter von Adriana enthält (Bühne: Mariangela Mazzeo). Das opulent besetzte Bruckner Orchester Linz, geleitet von der Koreanerin Jinie Ka, bildet den Abschluss nach hinten. Der Chor, einmal sind es sechs Herren, dann sechs Damen, wirkt unsichtbar hinter den schwarzen Wänden. Er wird damit Teil des Klangbildes, in dem Alois Bröder in einer faszinierenden Vielfalt an Farben Emotionen malt und zwischen Tonspritzern weite Flächen zum Sinnieren bietet. Auch die Texte wurden von ihm aufbereitet, großteils in Deutsch, lediglich zu Beginn quasi als Einführung in den Schauplatz in Italienisch.

Die Prosa-Sätze werden teils in einer kunstvoll überhöhten Melodie des gesprochenen Wortes gesungen. Das Ensemble bewältigt diese Herausforderung durchwegs grandios, nicht nur stimmlich, sondern auch in der Art und Weise des Schauspiels. Christoph Gerhardus ist mit Tullio Buto ein geheimnisvoller Fremder, den die Vermieterinnen Clotildina Nini (Saskia Sophie Maas) und Frau Nini (Lily Belle Czartorski) gerne bei sich aufnehmen und frivol lachend feststellen, dass er sich in Margherita Masci (Génesis Beatrix López) verliebt hat. Die Sopranistin Saskia Sophie Maas wird im zweiten Teil zu Adriana, bei der Bassist Felix Lodel in der Funktion mehrerer Ärzte einen bösartigen Tumor diagnostiziert. Mit dem elegant feschen Schwager Cesare Braggi (Martin Enger Holm) verlässt sie die öde Umgebung und die beiden halbwüchsigen Söhne (Fernando: Sophie Bareis, Paolo: Lily Belle Czartorski) mit der Gewissheit, nach diesem von hellen Akkorden getragenen Rausch in einem herzergreifend verlöschenden Pianissimo ihr Leben zu beenden.

Felix Lodel © Petra Moser

Felix Lodel © Petra Moser

Daniela Dett, Ensemble © Herwig Prammer

Daniela Dett, Ensemble © Herwig Prammer

WONDERLAND Eine verrückte Teeparty mit Alice & Co.

Christian Fröhlich, Valerie Luksch © Herwig Prammer

Christian Fröhlich, Valerie Luksch © Herwig Prammer

Das Musical als hochmoralische Interpretation der Bücher von Lewis Carroll

Alice Cornwinkle ist eine Karrierefrau mit den üblichen Problemen, die sich einer noch verheirateten berufstätigen Mutter in den Weg des Aufstiegs stellen. Mit Jack, einem unterbeschäftigten Saxophonisten, lebt sie in Scheidung und muss dem jungen Mann trotzdem dankbar sein, dass er sich um die gemeinsame Tochter Chloe kümmert. Sie konkurriert mit der Kollegin Maddie Quizzle um die Nachfolge der scheidenden Chefin Everheart. Den Posten bekommt diejenige, die innerhalb von 24 Stunden das spannendste Computerspiel entwickelt. War dieser Tag zu anstrengend? Jedenfalls schläft Alice in ihrem Büro ein und gerät in einen turbulenten Traum, besser gesagt, in das WONDERLAND, das vor mehr als 150 Jahren Lewis Carroll erdacht und in zwei Büchern erzählt hat. Es ist eine verrückte Welt mit völlig seltsamen Bewohnern, die vom Autor ursprünglich zur Unterhaltung heranwachsender Mädchen verfasst wurde, aber längst Weltliteratur geworden ist und sogar trockene Wissenschaftler ernsthaft beschäftigt.

Daniela Dett, Ensemble © Herwig Prammer

Daniela Dett, Ensemble © Herwig Prammer

Valerie Luksch, Enrico Treuse © Herwig Prammer

Valerie Luksch, Enrico Treuse © Herwig Prammer

Das Musical nach einem Buch von Jack Murphy und Gregory Boyd und Musik von Frank Wildhorn ist von Carroll zumindest inspiriert, vor allem was das Personal des Wunderlands betrifft. Die bekanntesten Figuren sind die grausame Herzkönigin und das hektische Kaninchen mit einer rückwärts laufenden Digitaluhr, das deswegen immer zu spät dran ist. Aus der Grinsekatze wird El Gato, ein Tänzer, der mit einer Raupe, dem Kaninchen und einem weißen Ritter die junge Frau bei deren Abenteuer begleitet. Alice wird Teil eines Spiels, bei dem sie mit dem Hutmacher um das Erreichen eines unmöglichen Felds kämpft, um am Ende zur Erkenntnis zu gelangen, dass beruflicher Erfolg wesentlich weniger zählt als die Liebe zur eigenen Familie.

Valerie Luksch, Eva Winkelhofer © Herwig Prammer

Valerie Luksch, Eva Winkelhofer © Herwig Prammer

Max Niemeyer, Christian Fröhlich, Valerie Luksch, Ensemble © Herwig Prammer

Max Niemeyer, Christian Fröhlich, Valerie Luksch, Ensemble © Herwig Prammer

Das Musiktheater Linz hat die geheimnisvollen Tore zum Wonderland aufgetan und am 8. September 2024 eine bejubelte Premiere dieses Musicals gefeiert. Unter der musikalischen Leitung von Tom Bitterlich werkt die Club-Wonderland-Band im Graben vor der Bühne und umhüllt das Publikum mit fettem Sound zu einem durchwegs stimmgewaltigen und spielfreudigen Ensemble dieser verrückten Teeparty. Valerie Luksch wandelt sich glaubhaft von der Businesslady zur warmherzigen Alice, nachdem sie erkannt hat, wie sehr sie ihren Jack (Max Niemeyer) doch liebt.

Dieser wird als weißer Ritter von Sanne Mieloo als rücksichtslos nach Macht strebender Verrückter Hutmacher hinterrücks erstochen. Die Chefin (Daniela Dett) tänzelt als Herzkönigin durch ihr Reich, immer brandgefährlich, da sie einen Hang zum willkürlichen Köpfen ihrer Untertanen hat. Der beflissene Kollege Richard Hopper erscheint als hypernervöses Kaninchen (Christian Fröhlich) und Karsten Kenzel mit rauer Stimme als dicke, gelassene Raupe. Mo bzw. Chaz wird von Enrico Treuse gesungen. Im Chor und dem Tänzern erscheinen u. a. die Romanfiguren wie der rosa Hip Hop Cowboy, Flamingo, Siebenschäfer oder Auster. Der eigentliche Auslöser dieses Traums ist aber Chloe, die zehnjährige Tochter von Alice (bereits ungemein souverän: Rosa Gruber). Sie wird zum Alter Ego der Frau, die durch diese Rosskur ihre eigene Kindheit wiederfindet und mit einem Spiel voll Harmonie und Menschlichkeit gegen ihre Widersacherin antritt. Ende gut alles gut, lediglich die Satire von Lewis Carroll ist zu einem gesellschaftlichen Wohlmeinen des beginnenden 21. Jahrhunderts verblasst.

Sanne Mieloo, Valerie Luksch © Herwig Prammer

Sanne Mieloo, Valerie Luksch © Herwig Prammer

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