...gepackt mit dem Flüchtlingsschicksal einer italienischen Familie, mit den Jahren in Argentinien und seinem Wirken als Bischof von Rom.
Gleich zu Beginn zitiert Papst Franziskus einen nicht näher genannten mexikanischen Dichter, der sagt, dass die Erinnerung eine Gegenwart ist, die niemals aufhört zu vergehen. Damit verschieben sich die Grenzen zwischen Gestern und Morgen in ständiger Bewegung, verbunden mit einer tröstlichen Botschaft: „Die Christen müssen wissen, dass die Hoffnung uns niemals täuscht und trügt: Alles entsteht, um in einem ewigen Frühling zu erblühen.“ Dennoch beginnt die Erzählung seines Lebens mit einer Katastrophe. Spannend wie in einem Thriller wird der Untergang eines Schiffes vor der Küste Brasiliens geschildert. Der Großteil der damals ums Leben gekommenen und der nur wenigen geretteten Passagiere waren Migranten aus Italien, die in der Neuen Welt Fuß fassen wollten. Damit setzt auch die eigene Familiengeschichte ein. Seine Großeltern hatten die Fahrkarten, waren aber nicht an Bord gegangen und hatten erst eine spätere Überfahrt nach Argentinien genommen. „Aus diesem Grund bin ich heute hier“, merkt Franziskus an.
Ein ausführliches Kapitel dieser ersten zu Lebzeiten eines Papstes erschienenen Autobiographie widmet er seiner Familie, deren Erfolge und Misserfolge, vor allem aber deren Durchhalten in der neuen Heimat. Verwoben darin ist deutlich erkennbar Migration unserer Tage, die dem Papst das gleiche tiefe Anliegen darstellt wie der Frieden, was auch an späteren Stellen immer wieder angesprochen wird. „Migration und Krieg sind die zwei Seiten derselben Medaille.“ Er findet dazu bewegende, und doch von Hoffnung geprägte Worte: „Der Zustand des Ausgegrenzt werden, den Millionen Menschen erdulden müssen, kann nicht lange mehr andauern.“ Nicht umsonst hat er den Namen des heiligen Franziskus, des Patrons der Armen, angenommen.
Geboren wurde er am 17. Dezember 1936 in Buenos Aires als Jorge Mario Bergoglio. Seine Kindheit und Jugend ist vom Leben in einem Schmelztiegel geprägt, im Grund fröhlich und frei von großen Sorgen, doch immer auch mit dem Blick auf das Elend in den Villas, den Slums der Stadt. Das Christentum ist ein wesentlicher Faktor für den Heranwachsenden, wie für die ganze Familie. Trotzdem erregt sein Berufswunsch Erstaunen. Jorge Mario will Geistlicher werden. Es liest sich fast wie eine Legende, als ihn am 21. September 1953 die Berufung ereilt. Er tritt bei den Jesuiten ein, durchlebt ein erfülltes Noviziat und legt mit tiefer Überzeugung die ewigen Gelübde ab. Er unterrichtet und sorgt sich als Priester um die ihm anvertrauten Seelen. Als Bischof überwindet er bekannt schwierige politische Verhältnisse in Argentinien, nicht ohne den Blick auf die Gesamtheit der katholischen Welt. „Die Kirche ist eine Frau, kein Mann“, schreibt er: „Wir Kleriker sind Männer, aber wir sind nicht die Kirche. Die Kirche ist eine Frau, weil sie eine Braut ist.“ Sein Ziel heißt „de-maskulinisieren“.
Groß war sein Erstaunen, als es im Konklave eng um seine Person wurde. Am 13. März 2013 fiel die Wahl auf ihn. In seinem Buch betont er ausdrücklich, dass er schon bei der Einkleidung auf Bescheidenheit größten Wert gelegt hat, eine Eigenschaft, die sich auf weitere Lebensbereiche in seinem neuen beruflichen Umfeld erstreckt hat. Mit einem herzlichen „buona sera“ begrüßte er die Welt als Papst Franziskus und öffnete damit Tausende von Herzen.
Man darf glücklich sein, einen solchen Menschen in Rom zu haben, mit seinem „Schrei nach Frieden“ und der Sorge für die Ärmsten neben zahlreichen Reformen, die sein Wirken geprägt haben. Kaum ein Pontifikat war vom ersten Moment an von so vielen Hoffnungen geprägt wie das seine. Auch ein Papst wie Franziskus konnte nur einen Teil davon erfüllen, aber er gab und gibt der Kirche ein neues, freundliches Gesicht. Er hinterlässt damit das wertvollste Erbe, da es in einer Zeit von Angst und Verzagtheit den Gläubigen Zuversicht zu geben vermag. In einem eigenen Kapitel erzählt er über die Krankheiten, die ihm das Dasein und die Arbeit erschweren. „Immer wenn es einem Papst schlecht geht, weht ein Hauch von Konklave durch die Welt. Aber ich habe nicht einmal in den Tagen nach meinen Operationen ans Aufgeben gedacht.“ Es waren neben dem Bemühen der Ärzte unendlich viele Gebete um seine Genesung, dass Papst Franziskus wiederum die Klinik verlassen konnte und vom Vatikan aus den Menschen wieder sein Lächeln schenkt.
BARACK OBAMA Die spannende Reise in „Ein verheißenes Land“
Selbstkritische und mahnende Erinnerungen des 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten
Barack Obama selbst gesteht, dass es ihm schwer fällt, sich in seinen Ausführungen kurz zu halten. So waren auch für seine Autobiographie „Ein verheißenes Land“ (Band 1 der Jahre als Präsident, erschienen auf Deutsch im Penguin Verlag) wesentlich weniger Seiten geplant als es schließlich geworden sind. „Meinen besten Absichten zum Trotz wuchs das Buch in die Länge und Tiefe“, schreibt er im Vorwort des fast 1000 Seiten starken Werks, das damit wesentlich mehr geworden ist als eine Bilanz von Erfolgen und Flops einer der größten amerikanischen Präsidentschaften. Davon darf sich jedoch kein Leser abschrecken lassen. Genauso wie eine Fahrt im „Beast“, dem wohl sichersten Auto der Welt, durchaus komfortabel sein kann, ist auch die Lektüre dieser Aufzeichnungen ein flottes Dahingleiten durch die einzelnen Stationen, die den von Weltverbesserung träumenden Einsiedler zum ersten farbigen Präsidenten der USA geführt haben. Wäre Obama nicht Politiker geworden, so hätte er mit Krimis bestimmt einen Haufen Kohle gemacht. Unsereins hat noch einigermaßen die Geschehnisse im Kopf.
Trotzdem versteht er es, vibrierende Spannung aufzubauen und bis zum erlösenden „Wir haben es geschafft!“ oder einem zerknirschten „Wir sind gescheitert“ das jeweilige Ende der Unternehmungen offen zu halten; angefangen von seinem Wahlkampf über den Recovery Act zur Stimulierung der darniederliegenden Wirtschaft oder seinen Bemühungen um Frieden in Nahost bis zum Versuch der Ausschaltung von Osama bin Laden. Dazu kommen lebendig geschilderte Begegnungen mit den Menschen, die man durch Obama beinahe persönlich kennenlernen darf. An erster Stelle steht seine Familie. Neben seiner Gattin Michelle und den beiden Töchtern Malia und Sasha wird seiner hawaiianischen Großmutter Toot bedeutungsvoll Raum gegeben. Jeder einzelne Berater oder politische Kontrahent wird in einer Kurzbiographie vorgestellt, um deren Meinung oder Verhalten aus ihrem sozialen Umfeld zu erklären.
Präsident Barack Obama und Vizepräsident Joe Biden auf demWeg zur Unterzeichnung des Dodd-Frank Wall Street Reform and Consumer Protection Act, 21. Juli 2010.***
Für uns Europäer ist dieses Buch mehr als aufschlussreich für die Politik der USA. Was uns gefiltert durch Korrespondenten und Social Media erreicht, ist herzlich wenig im Vergleich zu dem, was uns Barack Obama an teils unglaublichen Zuständen enthüllt. Was hierzulande als „Obamacare“ gefeiert wurde, ist nichts als die schmähende Bezeichnung seitens der „Tea Party“, einer rechten Randbewegung der Republikaner, seiner Bemühungen um ein Gesundheitssystem für alle. Mit dieser Partei, die in ihren Zielsetzungen an sich diametral zur Einstellung des Demokraten Obama steht, wird sachlich, aber hart abgerechnet.
Deren Senatoren und Kongressabgeordnete sind es, die den Klimawandel leugnen und jedes Gesetz dahingehend blockieren, die illegale Einwanderer als moderne Sklaven benützen, aber dem „Dream Act“ zu deren Legalisierung nicht zustimmen, und die alles gegen einen Präsidenten unternehmen, der nach den Midterm-Wahlen als „Lame Duck“ seine Pläne durchzusetzen muss. An Katastrophen gab es in Obamas Regierungszeit keinen Mangel. Noch unter George W. Bush war die Immobilienblase geplatzt, ständige Bedrohungen durch Terror und verheerende Wirbelstürme hielten ihn auf Trab und zu guter letzt explodierte die Ölbohrplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko und verursachte Umweltschäden von kaum wieder gutzumachenden Ausmaßen.
Als gegen Ende seiner ersten Amtsperiode eine skurrile Figur namens Donald Trump am politischen Parkett erscheint, klingt das wie eine Drohung. Was sich daraus an Gelächter und Schrecken für den Globus entwickelt hat, wird nobel verschwiegen, denn das Buch endet noch vor der Wiederwahl Obamas. Der Ausstieg aus diesen selbstkritischen und mahnenden Erinnerungen ist versöhnlich; es ist ein Blick vom Hubschrauber beim Anflug auf das Weiße Haus auf den Autostrom Washingtons: „Pendler wie du, dachte ich, die es nicht erwarten können, endlich nach Hause zu kommen.“
Präsident Barack Obama läuft mit dem Familienhund Bo durch den östlichen Säulengang des Weißen Hauses, 15. März 2009.***