Der Tanz vom esoterischen Klangzauber eines Arvo Pärt zur Klarheit von Johann Sebastian Bach
Um die Choreographie von Ohad Naharin auch nur ansatzweise zu verstehen, wird eine ausführliche Lektüre des Programmheftes nahegelegt. Dort ist die Rede von eigenen Gesetzen, die die Arbeit an einem Werk dieses israelischen Choreographen bestimmen. Ohad Naharin, so heißt es dort weiter, ist einer der wichtigsten und innovativsten Tanzkünstler unserer Zeit. Er liebt die Freiheit in der Bewegung, ihre Explosivität, ihre Sinnlichkeit, die zusammen unbestechlich wie leidenschaftlich sind. Die Rede ist auch von einer von ihm entwickelten Bewegungssprache namens Gaga, die er in eigenen Trainingskursen weitergibt. Das Bewegungsrepertoire, das dem zehnköpfigen Ensemble des Wiener Staatsballetts in „Tabula rasa“ abgefordert wird, unterscheidet sich tatsächlich grundlegend von den klassischen Figuren und braucht eine Gewöhnungsphase, um den Tanz der Musik zuordnen zu können. Die gleichnamige Komposition stammt übrigens von Arvo Pärt (*1935 in Paide, Estland), der einst zu Sowjetzeiten mit seiner musikalischen Botschaft den Unwillen der Kulturfunktionäre erregt hat.
Mittlerweile nimmt niemand mehr Anstoß an seiner Einladung zum Meditieren über die zweifelhafte Behauptung, dass der Mensch völlig unbelastet wie ein leeres Blatt Papier zur Welt käme und sich erst durch die Erfahrung voll schreiben ließe. Am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper steht Christoph Koncz, zwei Soloviolinen werden von Yamen Saadi & Raimund Lissy und das Klavier von Anna Buchenhorst gespielt.
Nach der Pause nimmt der koreanische Pianist William Youn am Flügel Platz. Das Monumentalwerk, das von Johann Sebastian Bach ursprünglich für Cembalo geschrieben wurde und längst zu den größten Herausforderungen für Pianisten zählt, hat seinen Namen übrigens einer Anekdote zu verdanken. Eine Aria eröffnet den Reigen von 30 Variationen und der abschließenden Erinnerung in Form der Aria da Capo è Fine. Der Schweizer Choreograph Heinz Spoerli hatte also die Aufgabe, für jeden Abschnitt eine neue Idee zu entwickeln. Den größten Teil bestreiten Solisten wie Ioanna Avraam, Giorgio Fourés, Masayū Kimoto, Aleksandra Liashenko oder Natalya Butchko. Der Bachsche Kosmos aus Modulationen und Harmonien im Verein mit genialen Melodien schafft ihnen die Möglichkeit, ihr Können in faszinierender Perfektion auszutanzen. Die Kostüme sind einfach, der Bühnenhintergrund zumeist einfärbig und die Beleuchtung stimmig. Es ist die ideale Atmosphäre, um die Klarheit der Musik eines Johann Sebastian Bach sogar in einem Ballett umzusetzen.