Kultur und Weindas beschauliche MagazinDavide Dato, Olga Esina, Alessandro Cavallo, Ensemble © Ashley Taylor DIE FLEDERMAUS gezähmt durch moralisches Flügelstutzen
Der untreue Ehemann Johann entfliegt seiner liebreizenden Gattin Bella des Nachts als Fledermaus. Sein Ziel ist das Maxim´s, eine Stätte prickelnder Unterhaltung und leichter Mädchen. Bella hat aber einen Herzensfreund. Ulrich ist Seelentröster und Ratgeber. Sein Geschenk an die von ihm verehrte, jedoch betrogene Dame sind die Aufforderung, einmal eine andere als die brave Ehefrau zu sein, und ergänzend dazu eine Schere. Wie in der Operette wird getanzt, Champagner geschlürft und auf Teufel komm raus geflirtet. Bella folgt Johann zu seiner nächtlichen Unterhaltung, allerdings in einem aufreizenden Kostüm, das sie für ihn unerkennbar macht. Die Geschehnisse überschlagen sich und führen zu einer Rauferei. Johann kommt schließlich in den Knast, wo ein dem Frosch ähnlicher Schließer den hinter der Szene klagevoll singenden Alfred (Tenor Lukas Schmidt) bewacht. Bella erscheint mit dem charmanten Polizeikommissar und befreit Johann, jedoch nicht ohne seine Flügel zu stutzen und ihn damit zum anständigen Gatten zu verwandeln. Die Musik zu dieser sehr freien Überschreibung von Richard Genées Libretto wird vom Walzerkönig selbst, von Vater Johann und Bruder Josef Strauss geliefert. Diese wiederum wurde vom australischen Komponisten Douglas Gamley arrangiert und neu orchestriert. Der französische Choreograf Roland Petit (1924-2011) hat sein Werk als „operette dansée“ bezeichnet und gleich die Inszenierung des 1979 in Marseille uraufgeführten Balletts mitgeliefert. Für die Staatsoper war es eine Wiederaufnahme aus 2009, für das seit 2010 so benannte Wiener Staatsballett quasi eine Premiere. Am Pult stand dabei Luciano Di Martino, der das Orchester mit klarem Schlag durch bekannte Melodien über teils abenteuerliche Modulationen zu einem neuen Potpourri leitete. Walzer und Polka sind offenbar tief im Erbgut des Staatsballetts verankert.
Victor Caixeta, Ensemble © Ashley Taylor KALLIRHOE Antike Lovestory erzählt vom Ballett
Der Choreograf Alexei Ratmansky hat einmal gesagt: „Manche Dinge lassen sich nicht in Worte fassen und für diese Dinge gibt es den Tanz.“ Die Bestätigung dafür wird prompt geliefert. Das Handlungsballett „Kallirhoe“ wird von ihm in opulenter Ausstattung und virtuoser Technik im Tanz erzählt. Es geht um die turbulente Geschichte einer Frau, die so schön wie Aphrodite war und sich gerade damit eine Menge an Problemen eingehandelt hat. Jeder einigermaßen bedeutende Mann wollte sie sofort für sich haben. Die literarische Vorlage blickt auf ein ehrwürdiges Alter zurück. Der zugrunde liegende Roman wurde vom antiken Dichter Chariton von Aphrodisias vermutlich im ersten oder zweiten Jahrhundert n. Chr. verfasst und zählt zu den wenigen vollständig erhaltenen Beispielen des Genres. In seinem linearen Aufbau ohne Schnörkel wie Rückblenden oder ähnliches, aber mit etlichen Schauplätzen in der damals bekannten Welt ist er durchaus mit spannendem Lesestoff aus der Hand moderner Schriftsteller vergleichbar. Liegend: Madison Young, Ensemble, Solistisch: Victor Caixeta, Rinaldo Venuti © Ashley Taylor Die Musik stammt von Aram Chatschaturjan. Arrangiert und für das Ballett zugeschnitten hat sie der darauf spezialisierte Komponist Philip Feeney; ausgeführt wird sie vom Orchester der Wiener Staatsoper unter Paul Connelly. Für Cineasten vertraut sein dürfte das aus dem Ballett Gayaneh stammende Adagio, das im Streifen „Odyssee im Weltraum“ von Stanley Kubrick die endlose Weite des Alls beschreibt. Das bekannteste Stück daraus ist aber der Säbeltanz. In „Kallirhoe“ wird zu dessen rasenden Rhythmen vom Herrenensemble zwischen Babylon und Ägypten Krieg geführt. Victor Caixeta ist Chaires, der von Rachegelüsten getrieben in die ägyptische Armee eintritt. Mit unglaublich wuchtigen, hochartistischen Sprüngen treibt er seine Soldaten gegen Dionysius (kongenial getanzt von Alessandro Frola) zum Sieg. Woher nun der Hass? Schuld daran ist eine Intrige, die seine junge Ehe mit Kallirhoe in heftiger Eifersucht zerrissen hat.
Daniel Vizcayo © Ashley Taylor LA FILLE MAL GARDÉE Entzückend komisch und romantisch
Der Bräutigam ist jedoch dank der umwerfenden Komik seines Darstellers Daniel Vizcayo in keinem Moment ein ernster Konkurrent; er ist patschert, schreckhaft und ohne seinen roten Regenschirm hilflos. Dagegen sind auch Zsolt Török und Javier Gonzáles Cabrera als Dorfnotar und Gehilfe machtlos.
Yuko Kato, Daniel Vizcayo © Wiener Staatsoper / Ashley Taylor DORNRÖSCHEN Der Choreograph als braver Märchenonkel
Bei einem Ballett wie Dornröschen sind die Zuschauer auf etlichen Ebenen gefordert. Man kennt vielleicht das Märchen „The sleeping beauty“, das sich von der Fassung der Brüder Grimm in etlichen Punkten unterscheidet, weiß damit um den Inhalt und bei einiger Vorbereitung auch um die einzelnen Stationen, die vom Librettisten Iwan Alexandrowitsch dem Komponisten Pjotr Iljitsch Tschaikowsky vorgelegt wurden. Dennoch müssen Kulissen, Kostüme und der Tanz so weit Klarheit bringen, dass die Worte ersetzt werden. Martin Schläpfer, Direktor und Chefchoreograph des Wiener Staatsballetts, hat sich bisher in Wien mit tänzerischer Umsetzung von Musik präsentiert, die an sich für das Konzertpodium gedacht ist. Nun ging es aber um das Erzählen einer vertonten Geschichte. Er selbst sagt dazu: „Ich möchte das Märchen als Märchen erzählen, in seiner ganzen Schönheit, aber auch mit all den Fragen, die sich mir bei der Lektüre des Librettos und dem Studium der Musik stellen.“ In seiner Choreographie sollten also auch die Beweggründe der Figuren und deren Gefühle sichtbar werden. Mit „Dornröschen“ ist es ihm tatsächlich gelungen, die Phantasie des Publikums abheben und durch die Welt von Königen, Feen und einem verzauberten Wald fliegen zu lassen.
Am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper stand am 26. Oktober 2022 Patrick Lange, der keine Scheu vor gewaltigen Klängen und noch weniger vor süßlich zarten Passagen zeigte. Einer der Höhepunkte war das Violinsolo im zweiten Akt, mit kraftvollem Gefühl ausgeführt von Konzertmeister Rainer Honek. Überraschende Spannung brachte ein Intermezzo von Giacinto Scelsi. Zu hören war eine CD-Zuspielung von „Anahit, das lyrische Poem über den Namen der Venus“, um flirrende Klangbilder zu den Träumen im Schlaf der Schönen mit Violine solo und 18 Instrumenten (Klangforum Wien, Leitung: Hans Zender) zu schaffen.
Zu den Solisten des Balletts: Olga Esina ist eine prächtige Königin an der Seite ihres Gatten Masayu Kimoto. Deren so sehr gewünschte Tochter Aurora ist anfangs ein rechtes Springginkerl, wenn sie den rabaukenhaft um sie werbenden Prinzen Rashaen Arts, Kristián Pokorný, Arne Vandervelde und Géraud Wielick unentschlossen zuschaut. Hyo-Jung Kang nimmt man die Schwerelosigkeit ihrer Jugend gerne ab, zumal sie bald darauf bekanntlich 100 Jahre schlafen muss, um von Brendan Saye als Prinz Désiré mit einem innig zarten Kuss geweckt zu werden.
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