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Lisette Model, Ausstellungsansicht

Lisette Model, Ausstellungsansicht

LISETTE MODEL Klassenkampf mit humorvollem Blick

Lisette Model, Ausstellungsansicht

Lisette Model, Ausstellungsansicht

Eine Retrospektive der Fotografin zeigt die Vielfalt der Menschen ihrer Zeit.

Elise Amelie Felicie Stern wurde 1901 in Wien geboren. Ihre Eltern waren Juden und Teil der großbürgerlichen Schicht, die damals in der Stadt und in der ganzen Monarchie sowohl wirtschaftlich als auch kulturell tonangebend war. Das Mädchen erhielt eine solide Schulausbildung, war vielseitig talentiert und wollte ursprünglich Sängerin werden. Als sie nach dem Tod des Vaters 1926 mit ihrer Mutter nach Paris übersiedelt, findet sie nicht zuletzt angeregt durch ihre Schwester Olga, einer ausgebildeten Fotografin, 1933 zu ihrer zweiten Begabung. Sie beginnt all das abzulichten, was sie leidenschaftlich interessiert. Es sind das zuerst schlafende Obdachlose und blinde Bettler, bis sie auf der Promenade des Anglais in Nizza auf das Gegenteil trifft. Die dort entstandenen Bilder zeigen wohlhabende Vertreter des Müßiggangs als die, wie sie im Begleittext dazu schreibt, „abscheulichsten Exemplare der Spezies Mensch“.

Lisette Model Spiegelung, 1939-1945 ALBERTINA, Wien © Estate of Lisette Model, courtesy baudoin

Lisette Model Spiegelung, 1939-1945 ALBERTINA, Wien © Estate of Lisette Model, courtesy baudoin lebon and Avi Keitelman

Sammy’s Bar, New York City, 1940-1944 ALBERTINA, Wien – Dauerleihgabe Österreichische Ludwig-St.

Sammy’s Bar, New York City, 1940-1944, ALBERTINA, Wien – Dauerleihgabe Österreichische Ludwig-Stiftung für Kunst und Wissenschaft © Estate of Lisette Model, courtesy baudoin lebon and Avi Keitelman

Als es 1938 in Europa für sie und ihren Ehemann, dem Maler Evsa Model, gefährlich wird, emigriert das Ehepaar nach New York. Als Lisette Model wirft sie sich in das pralle Leben der Stadt. Die Serie „Reflections“ (Spiegelungen) sind kunstvolle Collagen des Geschehens vor den Schaufenstern der großen Geschäfte, während ‚Running Legs“ (laufende Beine) den Blick statt hinauf zu den Wolkenkratzern von Manhatten nach unten auf das teils beängstigende Gewirr der Füße von hektisch durch die Fifth Avenue oder Wall Street eilenden Leuten richtet.

Model findet rasch entscheidende Kontakte zu wichtigen Persönlichkeiten der Kunst- und Medienlandschaft. Ihre Lichtbilder werden gedruckt und bekannt. Der Hang zum Klassenkampf, der ihre Arbeit schon in Frankreich geprägt hat, führt sie in die Lower East Side zu gesellschaftlich Benachteiligten und damit zur New Yorker Photo League, einer einflussreichen linkspolitischen Vereinigung. Lisette Model kritisiert humorvoll aber auch das pulsierende Entertainment mit aufgetakelten Damen und einer Hundeshow, in der sich Herrchen bzw. Frauchen und vierbeinige Begleiter verblüffend ähnlich sehen. Fantastische Aufnahmen entstehen auch in den Nachtclubs, nicht zuletzt in den 1940er-Jahren eine Serie von Porträts der damals gängigen Jazz-Größen. Model beginnt zu reisen, an die Westküste und nach Venezuela und sie gerät in den Fokus der Verfolgungen während der MacCarthy-Ära, was ihre Arbeit bis zum Zurückziehen einer von Philip Lopate verfassten Biografie beeinträchtigt.

Lisette Model Frau mit Schleier, San Francisco, 1949 Nachlass Gerd Sander, Galerie Julian Sander

Lisette Model Frau mit Schleier, San Francisco, 1949 Nachlass Gerd Sander, Galerie Julian Sander, Köln

Erst 1979 erscheint die erste Monografie, vier Jahre vor dem Ableben von Lisette Model. In der Fotosammlung der Albertina befindet sich deren bisher noch nie präsentierter Entwurf mit Originalabzügen. Er ist Teil der Ausstellung in den Tietze Galleries, die bis 22. Februar 2026 als Retrospektive mit Werken von Lisette Model und den von ihr deutlich ins Bild gesetzten Gegensätzen von arm und reich, von hässlich und schön, aber auch gelangweilt oder voll in Aktion wie die Sängerin im Café Metropole in New York City, die es auf den Titel der Schau geschafft hat. Erschienen ist dazu auch ein Katalog, herausgegeben von Kurator Walter Moser;

mit aufschlussreichen Artikeln von Damarice Amao (Kunsthistorikerin für Fotos), Duncan Forbes (Fotomuseum Winterthur) oder der Biografin Astrid Mahler und freilich mit einer Fülle von Fotos von den Menschen, die Lisette Model so leidenschaftlich interessiert haben, dass sie sich mit ihrer Rolleiflex zum Schnappschuss angeschlichen hat, um später in der Dunkelkammer aus dem Negativ den stärksten Ausschnitt zu einem ihrer vom Spannungsfeld Licht und Schatten getragenen schwarzweiß Fotos zu entwickeln.

Ehrentafel mit Porträts der damaligen Jazz-Größen

Ehrentafel mit Porträts der damaligen Jazz-Größen

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