Kultur und Wein

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Ausstellungsansicht © KHM-Museumsverband, Weltmuseum Wien, Foto: Daniel Sostaric

Die Farben der Erde, Ausstellungsansicht © KHM-Museumsverband, Weltmuseum Wien, Foto: Daniel Sostaric

DIE FARBEN DER ERDE Indigene Textilkunst aus Mexiko

Ulises Tapia Merino fertigt Stickereien, Foto: Carlos Barrera Reyes

Ulises Tapia Merino fertigt Stickereien, Foto: Carlos Barrera Reyes

Wie jahrhunderte alte Traditionen des Färbens und Webens wiederbelebt und neu interpretiert werden

Die Frauen sitzen an einfachen Webrahmen, wie sie schon von ihren Urahninnen zur Herstellung ihrer Textilien verwendet wurden. Die Kettfäden aus Baumwolle sind zumeist hell. Die Farbe bringt der Schuss, teils hochkompliziert gefertigt, der von Hand eingeführt wird. Das Endprodukt ist eine Textilie, deren Muster über die äußerliche Ästhetik hinaus immer wieder mythologische Geschichten ihres Volkes, der Mayas, erzählen. Von Generation zu Generation wurde dieses Wissen, vereint mit der Technik weitergegeben. Dazu zählt auch die Herstellung der Farben. Sie finden sich in der Natur Mexikos und werden aus Eichenblättern, dem Brasilholz, der Studentenblume oder sogar aus dem schwarzen Schlamm gewonnen. So entstandenen Werke und deren Schöpferinnen sind nun bis 6. April 2026 im Weltmuseum Wien unter dem Titel „Die Farben der Erde. Moderne Textilkunst in Meiko“ zu bewundern.

Fidencia Pérez Hernández webt ein Motiv, das das Universum symbolisiert, Foto: Carlos Barrera Reyes

Fidencia Pérez Hernández webt ein Motiv, das das Universum symbolisiert, Foto: Carlos Barrera Reyes

Ausstellungsansicht © KHM-Museumsverband, Weltmuseum Wien,  Foto: Daniel Sostaric

Die Farben der Erde, Ausstellungsansicht © KHM-Museumsverband, Weltmuseum Wien, Foto: Daniel Sostaric

Möglich wurde diese Ausstellung durch das Engagement des mexikanischen Künstlers Carlos Barrera Reyes (*1978). Seine Werke zeichnen sich durch eine intensive Auseinandersetzung mit verschiedensten Materialien und Formaten aus. Er hat diese Weberinnen besucht und sie bei der Arbeit beobachtet und gefilmt. Reyes wurde dabei vom Bedürfnis erfüllt, das dabei gewonnene Wissen weiterzugeben und damit einen Beitrag zur Erhaltung dieses kunstvollen Gewerbes zu liefern. Dabei wurde darin auch eine Neubelebung in einem zeitgenössischen Kontext entdeckt; deswegen der irritierende Ausdruck „modern“ im Titel. So ist neben traditionellen Geweben sogar einem zeremoniellen Kleidungsstück, dem Huipil, ein Platz im 21. Jahrhunderts eingeräumt.

Etliche der Weberinnen haben sich als erfolgreiche Unternehmerinnen etabliert, von denen auch der modische Geschmack nicht-indigener Kundinnen bedient wird. So sollte das Kleid, das Frauen in Oaxaca ausschließlich bei drei wichtigen Ereignissen ihres Lebens, der Hochzeit, einer Patenschaft bei der Taufe und beim Tod, getragen haben, zum Ausdruck allgemeinen kulturellen und nationalen Stolzes werden, wodurch gerade in Mexiko, wo nach wie vor strikt zwischen spanischer und indigener Herkunft unterschieden und gewertet wird, ein Umdenken angeregt werden könnte. Die Schau in Wien wurde gemeinsam mit Carlos Barrera Reyes von der Konservatorin Renée Riedler und dem Kurator Sammlung Nord- und Mittelamerika, Gerard van der Bussel, betreut und von Martina Berger als faszinierende Begegnung mit den Farben dieser Erde gestaltet. Sie fügt sich damit nahtlos in das Format WMW Contemporary, da sie ein Fenster in eine Welt öffnet, in der so hergestellter und gestalteter Stoff nicht nur Zierde ist, sondern Teil von Identität, Geschichte und Weltanschauung.

Moderner Huipil © KHM-Museumsverband, Weltmuseum Wien,  Foto: Daniel Sostaric

Moderner Huipil © KHM-Museumsverband, Weltmuseum Wien, Foto: Daniel Sostaric

Kolonialismus am Fensterbrett, Ausstellungsansicht

Kolonialismus am Fensterbrett, Ausstellungsansicht

KOLONIALISMUS AM FENSTERBRETT Liebgewonnene botanische Immigranten

Kolonialismus am Fensterbrett, Ausstellungsansicht

Kolonialismus am Fensterbrett, Ausstellungsansicht

Pflanzliche Exoten erzählen von Herkunft, ursprünglicher Nutzung und ihrer Reise in unsere Blumentöpfe.

Zimmerpflanzen sind allgemein beliebte Gesprächspartner. Wenn sie selbst auch schweigen, sind sie doch dankbare Zuhörer, die sich für derlei Zuwendung mit angeblich üppigem Wachstum und prächtigen Blüten revanchieren. Im Weltmuseum werden die Rollen nun in der Ausstellung „Kolonialismus am Fensterbrett“ (bis 25. Mai 2026) getauscht. Lebende Vertreter unserer beliebtesten Zimmer- und Balkonpflanzen wurden dafür mit anschaulichem Informationsmaterial wie historischen Objekten, Fotografien oder Seiten aus Herbarien kombiniert. Damit sind Dieffenbachie, Grünlilie und Usambaraveilchen in der Lage, uns über ihre eigentliche Heimat, das nicht immer freundliche Schicksal ihrer Verpflanzung in unsere Breiten und eine teils rücksichtslose Nutzung z. B. durch Pharmakonzerne zu erzählen.

Usambaraveilchen (Saintpaulia jonatha) Aus: Gartenflora, 1893 © Naturhistorisches Museum Wien

Usambaraveilchen (Saintpaulia jonatha) Aus: Gartenflora, 1893 © Naturhistorisches Museum Wien

Lokomotive der Usambarabahn Fotografie © KHM-Museumsverband, Weltmuseum Wien

Lokomotive der Usambarabahn Fotografie © KHM-Museumsverband, Weltmuseum Wien

Die systematische Suche nach Heil- und Nutzpflanzen, den Cash crops, begann im 18. Jahrhundert. Zuerst wurden nur Samen, Zwiebeln und Rhizome über die Weltmeere verschifft. James Cook war bei seiner zweiten Weltumseglung 1774 bereits in der Lage, die Zimmer- oder Norfolktanne aus dem Südpazifik lebend mit nachhause zu bringen. Ihm imponierte der gerade Wuchs, der sich für Schiffsmasten hervorragend eignete. Dass dieser immergrüne Baum in seiner Heimat, den Norfolkinseln, stattliche 50 bis 70 Meter hoch werden kann, ist seinen Nachkommen in unseren Gewächshäusern oder Wohnzimmern nur schwer abzunehmen.

Er teilt sich in bescheidenen Wuchshöhen den Platz mit der handlichen Birkenfeige alias Ficus benjamini, die in Südostasien und dem pazifischen Raum immerhin acht Meter und mehr erreicht. Hinter der Geranie (Pelargonium), unverzichtbar auf rustikalen Balkonen, stehen sogar handfeste Skandale. Zum einen sicherte sich eine deutsche Firma Patente auf das traditionelle Heilmittel, dem Wirkstoff Pelargonii radix, ohne die lokalen Nutzer in Südafrika am Gewinn zu beteiligen. Zum anderen wurden rot blühende Exemplare vom Denkmalschutz für das von Adolf Loos geplante Haus am Michaelerplatz vorgeschrieben. Kaiser Franz Josef war schockiert und taufte es wegen seiner nackten Fassade das „Haus ohne Augenbrauen“, woraufhin Loos kupferne Blumenkästen anbringen ließ. So verbindet jede der hier vorgestellten Pflanzen die ethnographische Vergangenheit und den Wandel vom Statussymbol in den Gärten der Reichen zum schmückenden Hausgenossen in unseren Wohnungen, der soviel zu berichten hat, wenn man ihm nur aufmerksam zuhört.

Kolonialismus am Fensterbrett, Ausstellungsansicht

Ficus benjamini, Ausstellungsansicht

Wer hat die Hosen an? Ausstellungsansicht © KHM-Museumsverband, Foto: Daniel Sostaric

Wer hat die Hosen an? Ausstellungsansicht © KHM-Museumsverband, Foto: Daniel Sostaric

WER HAT DIE HOSEN AN? Beinkleider aller Zeiten für ihn und sie

Replik der Hose des Turfan-Mannes © Foto: Jan Kersten/DAI-EA

Replik der Hose des Turfan-Mannes © Foto: Jan Kersten/DAI-EA

Anschauliche Kulturgeschichte eines Alltagsgegenstandes

Noble Römer, gewickelt in die festliche Toga, konnten über die seltsame Tracht ihrer barbarischen Nachbarn nur die Nase rümpfen. Da trugen diese wilden Reiter doch bei ihren Angriffen auf das Imperium Schläuche über ihren Beinen, geradeso wie von den Griechen berichtet die mythischen Amazonen, diese rasenden Weiber, die ganze Heere in Angst und Schrecken versetzen konnten. Heute ist es unvorstellbar, dass eine Hochkultur über Jahrhunderte ohne die Hose ausgekommen ist; also mit den außen getragenen Beinkleidern, aber auch mit denen darunter, den Unaussprechlichen, die erst in jüngerer Zeit die intimen Bereiche schützend und wärmend bedecken. Lange galt dafür die maskuline Forderung, dass er die Hosen anhaben müsse, um in einer Zweierbeziehung als Mann zu gelten. Mittlerweile haben auch die Frauen erkannt, dass die Hose, egal ob als eleganter Unterteil eines Kostüms oder als figurunabhängige Leggings, die bequemere Kleidung für vielerlei Gelegenheiten darstellt.

Winterhose Hersteller unbekannt Westliche Arktis Nordamerikas, 1950er Jahre Eisbärfell

Winterhose Hersteller unbekannt Westliche Arktis Nordamerikas, 1950er Jahre Eisbärfell und Robbenfell mit Ledereinfassung, Kunststoffknöpfen und Handnähten Weltmuseum Wien, Sammler unbekannt © KHM-Museumsverband

Katharina Schratt als „Junger Goethe“ in Der Königsleutnant Julius Gertinger Wien,

Katharina Schratt als „Junger Goethe“ in Der Königsleutnant Julius Gertinger Wien, 10. April 1874 Reproduktion eines Foto-Abzuges auf Karton Wien, Theatermuseum © KHM-Museumsverband

So ist die Frage „Wer hat die Hosen an?“ durchaus berechtigt. Das Kuratorinnenteam um die Textilrestauratorin Barbara Pöninghaus-Matuella hält sich bezüglich der Antwort heraus. Sie laden vielmehr zu einem Streifzug durch 3.000 Jahre Hosengeschichte aus aller Welt ein. Das älteste Exemplar stammt aus Turfan in Westchina und ist als Replik zu bewundern. Das nächstälteste Stück, eine Pluderhose aus Nubien (heute südliches Ägypten), ist aber tatsächlich gute 1000 Jahre alt. Dass auch die Kelten die Hosen schätzten, beweisen eine Gewandfibel aus der La Tène Kultur und Darstellungen auf antiken Münzen. Am Beginn der Ausstellung (bis 1. Februar 2026) steht allerdings Kunst der Gegenwart. Laura Eckert lässt einen aus Holzplättchen bestehenden nackten Mann eine Kerze turnen. Die verletzlich wirkende Plastik, vor allem der nach oben gestreckte Unterkörper, schreit förmlich nach Bekleidung. Angeboten werden dazu zehn Optionen aus Asien, Afrika und Amerika von arktisch bis subtropisch.

The Morning After Ian Berry Großbritannien, 2014 Assemblage aus Denimfragmenten Sammlung AWWG,

The Morning After Ian Berry Großbritannien, 2014 Assemblage aus Denimfragmenten Sammlung AWWG, Pepe Jeans®, Madrid Mit freundlicher Genehmigung von Pepe Jeans® © Bildrecht, Wien 2025

Tunbān  Hersteller unbekannt Bagdad, Irak, vor 1886 Rinds- und Schafleder, Baumwollstoff

Tunbān Hersteller unbekannt Bagdad, Irak, vor 1886 Rinds- und Schafleder, Baumwollstoff mit Steppnähten und Wattierung aus Tierhaar, Metallschnalle Weltmuseum Wien, Sammlung Josef Troll © KHM-Museumsverband

Man sieht, es fehlt nicht an unterhaltsamen Elementen, raffiniert verbunden mit sanfter Belehrung. Zum Schmunzeln ist die Skulptur „Trophy fort he Longest Pee“, geschaffen vom Isländer Guðmundur Thoroddsen als Preis für den weitesten Stehpinkler, und männliche Urängste weckend das Bild „Revenge of the Geisha Girl“ mit blutrotem Slip der japanischen Künstlerin Yūko Shimizu. Auf Bildern tritt mit uns den Hosenrollen aus Oper und Theater eine charmante Aneignung männlicher, besser, knabenhafter Darstellung durch schlanke junge Frauen entgegen. Von ihnen weg führt der Weg nun in den zweiten Teil, in dem Hingreifen ausdrücklich erwünscht ist.

Die dort hängenden Shorts wollen begrabscht werden. Handflächen sollen spüren, wie sich kühles Leinen oder warmer Tweed unterscheiden, oder wie lange im Fall, dass es pressiert, auch geschickte Finger brauchen, um 14 Knöpfe am Hosentürl aufzunesteln. Musste auch der Kaiser derlei Handgriffe selbst erledigen? Oder war ihm dabei ein Kammerdiener behilflich? Die gezeigten monarchischen Beinkleider – Uniform- und Kniehose für die Jagd – hüllen sich diesbezüglich in diskretes Schweigen. Jedenfalls waren sie nachhaltig hergestellt, ähnlich den Jeans, die erst nach vielen, vielen Jahren vom Körper fallen. Aus deren Stoff, Denim, besteht das Kunstwerk „The Morning After“ des Briten Ian Berry, auf dem drei Frauen ihrem Blues nachhängen. Um das Denken an sich geht es an der Station „auf dem Weg in die Zukunft“, auf dem sich bedrohlich Müllberge auftürmen, sollten wir nicht rechtzeitig lernen, Begriffe wie „Upcycling“ oder einfach „Second Hand“ in unseren Sprachschatz aufzunehmen und versuchen, dem Diktat der Mode für Beine und Popsch entspannt gegenüberzustehen.

Wer hat die Hosen an? Ausstellungsansicht © KHM-Museumsverband, Foto: Daniel Sostaric

Wer hat die Hosen an? Ausstellungsansicht © KHM-Museumsverband, Foto: Daniel Sostaric

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