Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Maria Benke, Walfisch vom Gasthaus zum Walfisch im Prater, 1951, Foto: Birgit und Peter Kainz (WM)

Maria Benke, Walfisch vom Gasthaus zum Walfisch im Prater, 1951, Wien Museum, Foto: Birgit und Peter Kainz, Wien Museum

WIEN. MEINE GESCHICHTE in der Dauerausstellung durchwandern

Ausstellungsansicht in der zentralen Halle © Lisa Rastl

Ausstellungsansicht in der zentralen Halle © Lisa Rastl

Das große Werk ist vollendet! Das Museum der Stadt als offenes Haus für ihre Bürger.

Bevor man sich in die breit angelegten 3.300 m2 Ausstellungsfläche auf drei Etagen mit 1.700 Objekten begibt, sollte man bequem mit dem Aufzug in die Etage drei fahren. Ein Espresso im Café „trude und töchter“, am besten draußen auf der Terrasse, schafft Selbstbewusstsein. Auf Augenhöhe begegnen dem Besucher die Dachgeschosse von Musikverein, Künstlerhaus und gegenüber die Karlskirche mit Blick von oben auf deren mächtigen Portikus. Die dicht mit Bäumen bewachsene Grünfläche des Karlsplatzes dazwischen bietet optische Erholung und schafft die nötige Konzentration für das Unternehmen einer Stadtwanderung in der Vertikale von Raum und Zeit.

Ausstellungsanicht Zweite osmanische Belagerung © Lisa Rastl

Ausstellungsansicht Zweite osmanische Belagerung © Lisa Rastl

Ausstelllungsansicht Mittelalter © Lisa Rastl

Ausstelllungsansicht Mittelalter © Lisa Rastl

Das Architektenteam Ferdinand Certov, Klaudia Ruck und Roland Winkler hat über dem zu seiner Zeit absolut funktionalen Bau von Oswald Haerdtl (1959) ein Gebäude gestaltet, das einerseits mit seiner Mächtigkeit zu einem Powerplayer des Platzes geworden ist, anderseits aber mit heller Großzügigkeit einlädt, sich mit der wohlgeordneten Geschichte der Stadt Wien einzulassen. Schön, dass dank Direktor Matti Bunzl der Eintritt frei ist, damit hat man immer wieder die Möglichkeit, neue Facetten urbaner Vergangenheit und sogar dynamisch angelegter Gegenwart zu entdecken.

Ausstellungsansicht Ringstraßenzeit © Lisa Rastl

Ausstellungsansicht Ringstraßenzeit © Lisa Rastl

Was das Heute betrifft, so hat man auf die Menschen gesetzt, die darüber erzählen, warum sie hier sind oder hierher gekommen sind. Zweifellos ist die hohe Lebensqualität entscheidender Anstoß für ein enormes Wachstum der Einwohnerzahl, das wiederum eine Palette an Problemen des Zusammenlebens zeitigt. Doch trotz der bedenklichen Nähe von Kriegen geht es in Wien noch vergleichsweise friedlich zu. Komplikationen haben hier die Möglichkeit, sich in einer doch ausgezeichnet funktionierenden Infrastruktur und in einem erfrischenden Freizeitangebot zu verlaufen. Dass dem nicht immer so war, beweisen erschütternde Bilder aus den Jahren 1938 bis 1945, in denen die Wiener Gemütlichkeit in unbegreiflicher Weise in eine andere Menschen verachtende Grausamkeit umgeschlagen ist.

 

Eine Spur von Jubelstimmung ist in der Zwischenkriegszeit zu verspüren. Damals war das Rote Wien eine Insel, bis der Bürgerkrieg den Aufschwung jäh beendete. Mit Gemeindebauten und einer Reihe von sozialen Projekten war jedoch ein Grundstein zu späterem Wohlfühlen gelegt. Im Kapitel „Schönheit am Abgrund. Wien um 1900“ werden die herrschenden Gegensätze zwischen arm und reich thematisiert. Man könnte sich an die grandiosen Gemälde halten oder sich über den Sessel des längst als Judenhasser betrachteten Bürgermeisters Karl Lueger amüsieren.

Unwillkürlich ist man jedoch in eine Bande von Päderasten geraten. Peter Altenberg wird zwar die Eigenschaft als Verehrer von Frauen abgesprochen. Es heißt dort, er hätte die Weiblichkeit eher verachtet – und er war ein Lustmolch, der sich an Kindern vergangen hat. Im dazugehörigen Text wird mit einer seltsamen Selbstverständlichkeit berichtet, dass Herr Richard Engländer den Herkunftsort seiner 13-jährigen Geliebten als sein Pseudonym gewählt hat. Noch unangenehmer wird es ein paar Schritte weiter. Man steht in der Rekonstruktion des Wohnzimmers von Adolf Loos und sucht vergebens nach dem schreienden Kontext, mit dem dieser Sexualverbrecher versehen sein müsste. Ein winziger, unleserlicher Zeitungsausschnitt auf einem Bildschirm, mehr ist nicht zu finden. Und doch hat Loos wohl in diesem Raum acht bis zwölfjährige Kinder missbraucht, dort massenhaft pornographische Fotos von kleinen Mädchen gehortet und die Kinder im Namen der Kunst zu lasziven Posen verführt – zum Gruseln! Warum wird überhaupt die Erinnerung an solche Typen so ausdrücklich hochgehalten? Eine Randnotiz hätte genügt.

Teresa Feodorowna Ries, Hexe bei der Toilette für die Walpurgisnacht, 1895, Wien Museum

Teresa Feodorowna Ries, Hexe bei der Toilette für die Walpurgisnacht, 1895, Wien Museum, Foto: TimTom, Wien Museum

Große Ambitionen prägten die Ringstraßenzeit, denen Massenmigration aus den ärmsten Teilen der Monarchie entgegenstanden. Freundlicher wird es im Biedermeier und Vormärz, die den Wienern trotz Zensur und obrigkeitlicher Überwachung die Freude an Unterhaltung nicht nehmen konnten. Barock und Aufklärung werden unter der Frage: „Wie viel Ordnung muss sein?“ kritisch beleuchtet. Den beiden Protagonisten, Maria Theresia und Josef II., werden Abschaffung von Folter und Todesstrafe, Schulpflicht und zumindest dem Kaiser religiöse Toleranz zugeschrieben. Stolz erfüllt die Nachgeborenen, wenn sie ausführlich über das Ende der osmanischen Expansionsbestrebungen vor den Mauern Wiens informiert werden.

Ausstellungsansicht Biedermeier und Vormärz © Lisa Rastl

Ausstellungsansicht Biedermeier und Vormärz © Lisa Rastl

Gefäße in Tierform, um 1200 - 1100 v. Chr., Foto: TimTom, Wien Museum

Gefäße in Tierform, um 1200  v. Chr., Foto: TimTom, Wien Museum

Das Erdgeschoss ist der frühen Historie vom Mittelalter abwärts bis zur Urzeit gewidmet. Der Platz über der Donau war seit 8.000 Jahren immer wieder besiedelt, bis zu den Römern und dem Lager Vindobona. Über allem schwebt jedoch der Wal. „Walfisch Poldi“ mit der Provenienz Wurstelprater ist das untrügliche Zeichen dafür, dass die Wiener welcher Herkunft und Sprache auch immer von ihrer Stadt geprägt werden, mit der Zeit die typische Charaktereigenschaft erhalten, die auch große Herausforderungen mit einer grantig lächelnden Nonchalance zu überwunden imstande ist.

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Der erhabene Blick über den Karlsplatz © Certov / Winkler + Ruck Architekten

Der erhabene Blick über den Karlsplatz © Certov / Winkler + Ruck Architekten

WIEN MUSEUM NEU Zurück zum Karlsplatz!

Wien Musem neu,  Architekturrendering  Certov / Winkler + Ruck Architekten

Wien Musem neu, Architekturrendering Certov / Winkler + Ruck Architekten

Was blieb vom Alten, was wurde anders gemacht und was dürfen die Besucher erwarten? Ein Streifzug durch mutige Architektur

Zwei Architektenteams haben es geschafft, über alle Widrigkeiten der letzten Jahre schon jetzt im Frühjahr das fertige Gerüst des Wien Museums zu präsentieren. Für das Büro Certov stand Ferdinand Certov und für Winkler & Ruck Roland Winkler einer neugierigen Runde von Journalisten am 30. März 2023 mit einer Fülle an Informationen zur Verfügung. Die erste bedeutende Botschaft lautete: „Das Wien Museum soll dem Karlsplatz zurück gegeben werden und an der Nordostecke des Resselparks neue Qualität schaffen.“ Mit dem vom Verkehr auf der Lothringerstraße abgewandten Vorplatz und dem gläsernen Pavillon mit einem um 90 Grad versetzten Eingang wurde zu ebener Erd´ ein entscheidender Schritt dazu gesetzt. Die Fassade scheint nur auf den ersten Blick unverändert. Sie wurde getreulich nach der Vorstellung von Oswald Haerdtl aus 1959 nachgeahmt. Metallrahmen und verwendete Steine sind neu, um den Anforderungen unserer Zeit zu entsprechen. So wurde statt dem rosa angehauchten Naturstein elegant grauer Marmor aus der Wachau unter den Fenstern verwendet, was man jedoch nur sieht, wenn man es gewusst hat.

Das Schwebegeschoss für Sonderausstellungen Foto: Kollektiv Fischka

Das Schwebegeschoss für Sonderausstellungen Foto: Kollektiv Fischka

Der Pavillon mit dem Hautpeingang Foto: Kollektiv Fischka

Der Pavillon mit dem Hautpeingang Foto: Kollektiv Fischka

In den Innenräumen wird bereits emsig am Aufbau der Dauerausstellung gewerkt. Gedacht sind dafür drei Etagen, die, sofern alles gut geht, ohne Ticket zu besuchen sein werden. Gezeigt wird die Geschichte Wiens von ihren frühesten Anfängen bis zur Gegenwart. Vorbei am „Walfisch Poldi“ steigt oder fährt man mit dem Aufzug nach oben bis zum Sonderausstellungsraum, der die wohl faszinierendste Erweiterung des Museums darstellt. Über das Gebäude hinaus ragt dieser ganz oben als ein mächtiger Quader aus Stahl und Beton, genannt das Schwebegeschoss. Dessen Grundfläche beträgt 1.200 m2 und stellt eine Meisterleitung der Statik dar. Er hängt an einem Prisma, dessen Sockel sicher bis tief in den Schwemmgrund des Wientals reicht. Getragen wird er von schräg eingezogenen Stahlplatten. Ein versteckter Lichtgaden und Glasplatten am Boden an den Rändern, durch die man, müde von der Betrachtung der Objekte, schaudernd in die Tiefe blickt, bringen eine Ahnung von Tageslicht in den sonst fensterlosen Raum.

 Wien Museum Neu März 2023 - Halle  Foto: Kollektiv Fischka

Wien Museum Neu März 2023 - Halle Foto: Kollektiv Fischka

Wie sehr das oben genannte Vorhaben gelungen ist, lässt sich vom Terrassengeschoss aus ermessen. Es bietet sich ein wahrhaft erhabener Blick über den Karlsplatz hin zur Secession, weiter zum Künstlerhaus und dem Musikvereinsgebäude. Bei einer Schale Kaffee oder einem Drink lassen sich sowohl die architektonischen wie auch die in den Ausstellungen erlebten Eindrücke beschaulich verarbeiten. Die in der Planung berücksichtigte Nachhaltigkeit lässt sich jedoch nur erahnen. So wird das Gebäude von Wärmepumpen beheizt, das Dach ist begrünt, die Wände sind mit Lehm verkleidet und eine intelligente Haustechnik nutzt die Abwärme der Besucher, um das Raumklima im Dauerausstellungsbereich auszugleichen. So besehen könnte die Vision von Direktor Matti Bunzl pünktlich zur geplanten Eröffnung im Dezember bereits Wirklichkeit werden: „Das Wien Museum soll zum Raum der Begegnung und ein Wohnzimmer für alle werden!

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