Kultur und Weindas beschauliche MagazinReich des Todes, Andrea Wenzl © Marcella Ruiz Cruz REICH DES TODES Wortwilder Abgleich von Pest & Cholera
Der Anfang ist vielversprechend. Nachdem ein an die Schmerzgrenze gehendes Bassgebrumm (Ohrstoppel sind empfehlenswert) mit schüchternen Tanzeinlagen verstummt, tritt Martin Schwab an die Rampe und schildert eindringlich den Moment, als ein Mann in seinem Büro im 96. Stockwerk des einen Turms des World Trade Centers das Flugzeug auf sich zukommen sieht. Gleichzeitig lässt er den Piloten zu Wort kommen und dessen Begeisterung über diese Tat und seinen Tod für den Glauben ausdrücken. Beeindruckt lauscht man dem Monolog. Die Hoffnung auf eine theatralische Aufarbeitung löst sich jedoch bald in Luft auf. Auf Witzfiguren getrimmt erscheinen neben dem Vice President andere Würdenträger der USA inklusive Präsidentengattin.
Der deutsche Schriftsteller und Dramatiker Rainald Goetz hat in „Reich des Todes“ seinem Zorn auf Gott und die Welt freien Lauf gelassen. Ein Wust von Gedanken, die Tiefe ahnen lassen, aber zum Teil nur Andeutungen und schwer nachvollziehbar sind, wird dem Publikum um die Ohren gehauen. Dazu gibt es einige Spritzer Feminismus mit einem Biss Richtung Alphamann und selbstverständlich Hitler, ohne den tiefsinnige Gesellschaftskritik bis jetzt einfach nicht ausgekommen ist. Man wird sehen, wie weit (der in diesem Stück noch ignorierte) Putin dieses Amt in Zukunft übernehmen wird. Aber zurück zur Kritik: Mit etwas mehr Ruhe, weniger Zeitschinden und einigen Kürzungen hätte Regisseur Robert Borgmann wohl wesentlich mehr herausholen können, als letztlich an Erkenntnisgewinn zu verbuchen war. Dazu kommt die allgemeine Niedergeschlagenheit, die derzeit die Leute nur schwer lächeln lässt. Auf „alte“ Probleme, wenn sie noch so toll auffrisiert sind, ist derzeit wahrlich niemand neugierig.
Marie-Luise Stockinger, Bardo Böhlefeld, Philipp Hauß, Norman Hacker, Max Gindorff, Maresi Riegner © Susanne Hassler-Smith AM ENDE LICHT oder der Tag, an dem Mama starb
Simon Stephens ist Brite, lebt in London und schreibt Theaterstücke. Seine Themen findet er u. a. im Alltag einer nordenglischen Stadt (seinem Geburtsort Stockport) und schafft es trotzdem, diese so sanft zu überhöhen, dass sie auch auf dem Kontinent, in diesem Fall in Wien, das Publikum in ihren Bann ziehen. So geschehen mit der österreichischen Erstaufführung von „Am Ende Licht“ im Akademietheater am 25. Februar 2022. Es gibt keine Sensationen, keine großen Aufreger und was an Katastrophen passiert, hält sich durchaus in bewältigbaren Grenzen. Zum Inhalt: Christine (Dorothea Hartinger), eine Frau unter der Wahrnehmungsschwelle, stirbt überraschend, während sie in einem Supermarkt vor dem Regal mit den Spirituosen steht. Sie erzählt es uns selbst, ganz trocken, als ginge es sie gar nichts an. Die Mitglieder ihrer Familie sind derartig intensiv mit sich selbst und der Befriedigung ihres Geschlechtstriebes beschäftigt, dass sie Mamas Ableben erst spät mitbekommen. Als eine Art Wiedergängerin erscheint sie ihnen in teils fremden Gestalten, zum Beispiel als Claudia, Andrea oder Victoria, prallt aber an deren Unaufmerksamkeit ab. Regisseurin Lilja Rupprecht hat dazu die Wirklichkeit der Personen leicht entfremdet. Sie tragen alle Masken, so lange, bis sie den Verlust der Mutter realisieren. Erst dann kehren sie zu ihrer natürlichen Erscheinungsform zurück, um sie in einem hoch emotionalen Finale, das ungeniert an Gefühlsduselei kratzt, mit Live-Musik von Philipp Rohmer und Viktoria Mezovsky in die Weiten des Weltalls (in 3D) zu entlassen.
Tochter Jess (Marie-Luise Stockinger) erwacht neben einem fremden Mann. Philipp Hauß stellt sich als Michael vor und gesteht ihr, sie nicht gefickt zu haben, weil sie zu betrunken gewesen sei. Aus der Zufallsbekanntschaft entwickelt sich noch am selben Tag eine Liebesbeziehung, die mit einer gewagten Nummer auf dem Friedhof besiegelt wird. Die zweite Tochter, Ashe (Maresi Riegner), hat vom Junkie Joe (Sebastian Klein) ein Kind abgefangen. Nachdem sie erkennen muss, dass von ihm kein Unterhalt zu erwarten ist, schickt sie ihn in die Wüste, um als Alleinerzieherin das Leben zu bestreiten. Steven, der einzige Sohn von Christine, arbeitet seine Probleme an Andy ab, leidet unter Minderwertigkeitskomplexen und klammert sich an seinen Lover. Als schwules Paar schaffen es Max Gindorff und Bardo Böhlefeld, derartige Gefühle auch für einen Hetero ergreifend nachvollziehbar zu machen. Vater Bernard (Norman Hacker) leidet nicht nur an Fresssucht, er lässt sich auch von der alten Freundin Michaela (Dunja Sowinetz) zu einem flotten Dreier mit der interessanten Emma (Stefanie Dvorak) überreden. Wie der in die Jahre gekommene Mann seine Schüchternheit überwindet, ist eine der stärksten Szenen, denn sie pendelt virtuos zwischen schaumgebremster Geilheit und auflockernd komischen Momenten. Kurz und gut, es sind alles Elemente, die sich in den besten Familien finden und die Zuschauer nach zweieinviertel Stunden mit seltsamem Wohlsein erfüllen, das sich bei der Premiere in Gegenwart des Autors in Bravorufen und anhaltendem Applaus manifestiert hat. Barbara Petritsch, Katharina Lorenz © Marcella Ruiz Cruz DIE SCHWERKRAFT DER tristesten VERHÄLTNISSE
Wann sonst als jetzt drückt uns „Die Schwerkraft der Verhältnisse“ so gnadenlos zu Boden, dass wir es ohne Murren auf uns nehmen, 100 Minuten hinter der FFP2-Maske der Unglückseligkeit anderer zuzuschauen – obwohl es uns eigentlich gar nichts anginge, was nach dem Krieg in einer gewissen Berta Schrei, geb. Faust, an Depressionen vorgeht. Die 1948 in der Steiermark geborene Schriftstellerin Marianne Fritz hat deren Tristesse jedoch in einem Roman aufgearbeitet, der vom deutschen Regisseur Bastian Kraft in ein Theaterstück umgewandelt und als solches am 18. Dezember 2021 im Akademietheater uraufgeführt wurde. Im Grunde ist alles daran gut geraten.
Als Energiebündel erweist sich die spätere Ehefrau von Wilhelm. Stefanie Dvorak als Wilhelmine überfällt ihre Freundin am liebsten mit dem Satz „Berta, du Unglücksrabe!“ Wie recht sie doch hat! Nicht nur der Bub, auch die Tochter von Wilhelm (Anna Benner/Lily Macgregor) ist in der Schule eine Versagerin. Das Leben in der Enge einer winzigen Wohnung, die oft lange andauernde Absenz des Gatten, der als Chauffeur und gekonnter Lächler sein Geld verdient, und der missglückte Nachwuchs führen schließlich und endlich zum Entschluss, sowohl die beiden Kinder als auch sich aus der Welt zu schaffen. Der Selbstmord missglückt und Berta landet als Kindsmörderin in der von Ordensfrauen geführten „Festung“. Die einzige Gesprächspartnerin in diesem Gefängnis ist „Das weise Mütterchen“ (Barbara Petritsch mit gespenstisch langen weißen Haaren und auf uralt geschminkt). Von ihr stammen kluge Sätze wie „Das Leben ist eine Wunde, und diese Wunde heilt so schwer“ oder geraunte Andeutungen zum Umgang mit den „prägenden Tatzen des Lebens“. Die einzige, die aus dem Ganzen fröhlich ihren Vorteil ziehen kann, ist Wilhelmine. Für sie ist Wilhelm nun frei und sie weiß ganz genau, am 13. Jänner 1960, am Geburtstag von Berta, wird geheiratet.
ALLES, WAS DER FALL IST Philosophie zur Logik des Theaters
Abgeleitet von beidem wurden Überlegungen zur erschütternden Amokfahrt in der Grazer Innenstadt am 20. Juni 2015. Das Leitmotiv ist die leere Bühne, das Motto: Wirklichkeit kann auch enttäuschend sein. Mit raffinierten Videotricks wird diese Realität derart radikal infrage gestellt, bis man sich als Zuschauer nicht mehr im Klaren ist, was tatsächlich da oben abläuft und was eingeblendet ist. Echt ist zumindest das Red Bull, das beim Spritzen aus der Dose den Raum mit seinem süßlichen Duft nach Gummibärli erfüllt.
Ein SUV wie der, mit dem drei Personen gebötet und 36 Passanten verletzt wurden, wird zum Hauptdarsteller, der hier bereits bei der Flucht der Eltern des Amokfahrers aus Bosnien im Einsatz ist. Die Show stielt ihm lediglich ein Hund, der auf Befehl Sitz macht und sich mit treuherzigem Blick über die maskierte Menschenansammlung im Dunkeln wundert. Er ist selbstredend nicht der Mörder und spielt auch keinen solchen. Diese Rolle bleibt Philipp Hauß überlassen, wenn er die Logik des Theaters abhandelt, der zufolge die Welt mit der Sprache erfassbar gemacht werden soll.
BUNBURY Die Geschichte vom Ernst neu erzählt
Wenn niemand mehr weiter weiß, dann wird eben gesungen oder ein Tanzsolo hingelegt. So besehen erscheint es beinahe wie ein Wunder, dass die Handlung verständlich und schlüssig übermittelt wird. Schließlich geht es um das Wortspiel zwischen Ernst und ernst, das nicht nur einen erfundenen Bruder, sondern auch zwei junge Damen betrifft. Beide wollen partout einen Mann nur heiraten, wenn er Ernst heißt. Bunbury, der nicht existierende sieche Freund des anderen Lebemanns, hat im Grund nur deswegen in den Titel gefunden, weil das Original „The Importance of Being Ernest“ etwas lang geraten ist und sich im Deutschen längst nicht so knackig wie im Englischen hersagen lässt.
Und sie machten davon ausgiebig Gebrauch. Tim Werths als Algernon Moncrieff und Florian Teichtmeiser als John (Jack) Worthing, Mavie Hörbiger (Gwendolin) und Andrea Wenzel (Cecily) beweisen, dass sie auch als hemmungslose Komödianten unschlagbar sind. Sie füllen mit ihrer Präsenz ohne weiteres den kahlen Schauplatz zwischen Betonwand und Rampe.
FRÄULEIN JULIE Geschlechtsverkehr kann tödlich sein
Sie scheint es sogar zu genießen, wenn Julie ob ihres Ausrutschers in tiefe gesellschaftliche Gefielde immer mehr der Hysterie verfällt. Jean hat Träume. Er will in der Schweiz ein Nobelhotel eröffnen. Julie, die ihm mittlerweile hörig ist, entwendet das Geld ihres Vaters und wäre bereit, mit ihm zu fliehen. Den Schlussstrich zieht aber der Tod, den das gefallene Fräulein als einzigen Ausweg sieht.
Ein Badezimmer wird im Akademietheater zum Schauplatz dieser tragisch endenden Beziehungskiste. Nicht einmal ein Vollbad kann Julie vom Makel dieses jedem Standesbewusstsein spottenden Geschlechtsverkehrs reinigen. Daran dürfte Regisseurin Mateja Koležnik gedacht haben, wenn sie die drei Darsteller hinter einer Glaswand zwischen Waschbecken, Wanne und Klomuschel agieren lässt. Sarah Viktoria Frick als Kristin ist eifrig dabei, das Bad zu putzen.
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