Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Stefanie Dvorak, Norman Hacker, Annamária Lang, Viktoria Mezovsky, Dörte Lyssewski © Matthias Horn

Stefanie Dvorak, Norman Hacker, Annamária Lang, Viktoria Mezovsky, Dörte Lyssewski © Matthias Horn

DIE BITTEREN TRÄNEN der mords überdrehten Petra von Kant

 Die bitteren Tränen der Petra von Kant Dörte Lyssewski © Matthias Horn

Die bitteren Tränen der Petra von Kant Dörte Lyssewski © Matthias Horn

Rainer Werner Fassbinders Versuch zu beschreiben, was Liebe nicht ist

„Ich mache keine Filme, ich werfe Bomben“, ist ein Zitat des 1982 verstorbenen Film- und Theatergenies Rainer Werner Fassbinder. Das Filmdrama „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ löste seinerzeit, also 1972, eine ordentliche Detonation aus. Gezeigt wird darin ein kurzer Ausschnitt aus dem Leben einer Modeschöpferin, die zwischen Kreativität und hysterischem Selbstmitleid zu einem Alterego des Drehbuchautors wird. Die darin beschriebene Petra von Kant war zwei Mal verheiratet und entdeckt mit der blutjungen Karin Thimm die Vielseitigkeit ihrer Gefühle. Sie verliebt sich in das Mädchen und macht aus ihr ein begehrtes Mannequin. Auf der Gegenseite kühlt die Beziehung jedoch rasch ab. Einen vorläufigen Schlusspunkt setzt die Rückkehr Karins zum Ehemann. Übrig bleibt eine Petra, die mit verletztem Stolz und der akuten Einsamkeit nicht umgehen kann. Die offen zu Tage getragene Verzweiflung kann jedoch nicht verhindern, dass sie – als Pointe Fassbinders – ein neues Abenteuer eingeht.

Obwohl schon viele Jahre über die Geschichte gezogen sind und sich die Gesellschaft krass gewandelt hat, wurde das dem Drehbuch zugrunde liegende Theaterstück von Rainer Werner Fassbinder für das Akademietheater inszeniert. Regisseurin Lilja Rupprecht setzt Diskussionen und Annäherungen in einen kalt gefliesten Raum, ungemütlich, da vom Boden gegessen wird. In der ersten Szene schläft die Protagonistin zur Live-Musik von Viktoria Mezovsky / Jessica Choma unter einem Sessel ihren Rausch aus. Von ihrer Hilfskraft Marlene (Annamária Láng in einer stummen Rolle) wird Dörte Lyssewski als Petra wieder auf die Beine gebracht. Wirklich wach wird sie aber erst, als ihre Freundin Sidonie (Stefanie Dvorak) im Vorbeigehen Nina Siewert als Karin ankündigt. Der Blitz schlägt ein, als diese erscheint. Die Annäherung zwischen Petra und Karin erfolgt in subtiler weiblicher Zartheit, ohne jedoch in eine zu erwartende Erotik zu kippen; die Frauen bleiben mit ihrem Spaß aneinander lieber unter sich. Bis zur unvermeidlichen Trennung folgen Streitereien über das Wesen der Liebe, die sich jedoch in Klischees verfangen.

 Die bitteren Tränen der Petra von Kant Dörte Lyssewski, Nina Siewert © Matthias Horn

Die bitteren Tränen der Petra von Kant, Dörte Lyssewski, Nina Siewert © Matthias Horn

Eine ernsthafte Antwort darauf könnte das Interview mit Fassbinder (Norman Hacker), geführt von Stefanie Dvorak, geben. Es bleibt aber ebenfalls in seiner Zeit unverbindlich stecken. Letztlich tauchen auch Petras Tochter Gabriele (Safira Robens) und Mutter Valerie (wieder Norman Hacker) auf und geben ihren Senf dazu. Das Unglück scheint perfekt zu sein, bis Karin anruft und Petra zum 45. Geburtstag gratuliert...

Dietmar König, Sabine Haupt © Marcella Ruiz Cruz

Dietmar König, Sabine Haupt © Marcella Ruiz Cruz

Der RAUB der SABINERINNEN Direktor Strieses Schmiere wird Programm

Dorothee Hartinger, Birgit Minichmayr, Sabine Haupt © Marcella Ruiz Cruz

Dorothee Hartinger, Birgit Minichmayr, Sabine Haupt © Marcella Ruiz Cruz

Hemmungslose Übertreibung will partout die Römertragödie in eine Komödie verwandeln.

Es ist die feinsinnige Abrechung zweier ernsthafter Theaterleute mit dem Ehrgeiz untalentierter Dilettanten. Franz und Paul Schönthan, beides Schriftsteller, Regisseure und Journalisten, hatten offenbar die Nase voll von Wichtigtuern, die ihnen ungefragt selbstgebastelte Machwerke zusandten oder aufdrängten. Dazu erfanden sie einen armen Hund von Theaterdirektor, der mit seiner Truppe von Stadt zu Stadt tingelt und nicht selten vor leeren Sitzreihen seine unterbezahlten Darsteller auf die Bühne hetzt. Dem um Existenz gleichermaßen wie um Kunst ringenden Prinzipal kommen der honorige Gymnasialprofessor und die von ihm verfasste Tragödie gerade recht. Dass über diesen Schmarren schon im zweiten Akt der Vorhang fällt, ist die zu erwartende Pointe. Dazwischen wird jedoch auf alle Seiten hin ziemlich rüde mit dem Knüppel der Ironie geschlagen, sowohl auf die spießbürgerliche Familie des Möchtegernautors als auch auf das ohnehin leidgeprüfte fahrende Volk.

Sabine Haupt © Marcella Ruiz Cruz

Sabine Haupt © Marcella Ruiz Cruz

Lukas Vogelsang © Marcella Ruiz Cruz

Lukas Vogelsang © Marcella Ruiz Cruz

Das allein wäre schon lustig genug. Svenja Viola Bungarten und Anita Vulesica haben jedoch noch eins draufgesetzt. Sie haben die Schmiere, die an sich nur für das Ensemble von Direktor Striese vorgesehen ist, auf die gesamte Inszenierung ausgedehnt. Als besonders origineller Einfall erschien Regisseurin Vulesica eine Umkehr der Geschlechterrollen. Was tut ein Schauspieler nicht alles für einen Lacher?! So wird der hilflose Prof. Gollwitz von Sabine Haupt und dessen überraschend heimgekehrte Gattin Friederike von einer eleganten Dame namens Dietmar König gespielt. Birgit Minichmayr ist Direktor Striese. Ihr wurde das originale Sächseln erspart.

Im befremdlich für ihren Job g´scherten hiesigen Dialekt zieht sie als unruhiger Geist die Fäden; mit dem Ergebnis hörbaren Schmunzelns. Dass sich endlich bei Rainer Galke als Weinhändlerin Groß das Publikum vor Lachen biegen wird, hat sich ebenfalls nicht ganz erfüllt. Dessen stattliche Erscheinung, noch dazu in mächtiges Schwarz gehüllt, flößt eher bangen Respekt ein. Stefanie Dvorak schafft es, die beiden Töchter Paula und Marianne stets in der jeweiligen Rolle erkennbar werden zu lassen. Mariannes Gatte, der zurückhaltende Dr. Leopold Neumeister und ruhige Pol in diesem Wirbel, ist Lukas Vogelsang. Dank der quirligen Haushälterin Rosa (Dorothee Hartinger) kann er sich von einer Familienfeier lösen und den Skandal seines Schwiegervaters erste Reihe fußfrei miterleben. Julian von Hansemann ist als Verlegenheitsmime Emil Groß am Scaterhelm erkennbar, einem ähnlich markantem Merkmal wie das Federkleid von Annemarie Fischer, die als Papagei vom Käfig aus für Ordnung im Text und letztlich für den Untergang des Dramas „Der Raub der Sabinerinnen“ sorgt.

Birgit Minichmayr und Ensemble © Marcella Ruiz Cruz

Birgit Minichmayr und Ensemble © Marcella Ruiz Cruz

Serge, Ensemble © Matthias Horn

Lilith Häßle, Inge Maux, Roland Koch, Alexandra Henkel, Michael Maertens © Matthias Horn

SERGE Wortwitz mit Auschwitz

Michael Maertens © Matthias Horn

Michael Maertens als Jean © Matthias Horn

Zynisch humoristische Aufarbeitung des Holocaust 80 Jahre danach

Yasmina Reza ist in Paris geboren, dort zur Schule gegangen und schließlich Schriftstellerin geworden. Wäre alles banal, findet sie, wenn sie nicht aus einer weit verzweigten jüdischen Familie stammte. Aber gerade diese Wurzeln erlaubten ihr einen besonderen, nämlich einen zynisch humorigen Blick auf das schrecklichste Geschehen, das ihren Vorfahren je widerfahren ist: auf den Holocaust. In „Serge“ stellt sie uns drei Geschwister als Abkömmlinge von Überlebenden der Shoa vor. Großvater, Großtante und Urgroßmutter sind in Auschwitz ermordet worden. Selbst sind Serge, Jean und Nana bereits am Rande des Pensionsalters und schauen auf ein Leben mit sehr wechselvollem Verlauf zurück. Serge hat eben seine Freundin Valentina verloren und versucht krampfhaft noch irgendwie Geld zu machen, um sich über Wasser zu halten. Jean steht ebenfalls vor einer Trennung und Nana strampelt sich ohne rechte Freude in ihrer Ehe und den zwei Kindern ab. Von Joséphine, der Tochter von Serge, kommt die Idee, das heute in Polen liegende Konzentrationslager Auschwitz zu besuchen, um eine allmählich erlöschende Betroffenheit in ihrem Anders-Bewusstsein als Juden wieder zu beleben.

Lilith Häßle als Marion © Matthias Horn

Lilith Häßle als Marion © Matthias Horn

Roland Koch, Alexandra Henkel, Michael Maertens © Matthias Horn

Roland Koch, Alexandra Henkel, Michael Maertens © Matthias Horn

Yasmina Reza hat es geschafft, in einem Roman eine Reise voller bitterer Pointen zu erzählen und möglicherweise ihre eigene gegenwärtige Position mit diesem Teil jüdischer Vergangenheit abzuklären. Regisseurin Lily Sykes hat daraus eine Bühnenfassung erarbeitet, die seit ihrer Uraufführung im Akademietheater regelmäßig für ein volles Haus sorgt. Ein unpersönlich eingerichteter Warteraum wird mit seinen vielen Ausgängen in verschiedene Orte und Zeiten zum Treff- und Streitpunkt der Mischpoche. Michael Maertens als Jean steht dem Projekt Auschwitz eher distanziert gegenüber, was auch aus seinen trockenen Bemerkungen dazu hervorgeht.

Inge Maux, Martin Schwab, Michael Maertens © Matthias Horn

Inge Maux, Martin Schwab, Michael Maertens © Matthias Horn

Viel mehr hadert er mit der On-off-Beziehung zu Marion (Lilith Häßle), deren Sohn (alternierend Thomas Neumayer / Maximilian Kreuz) ihm ans Herz gewachsen ist. Nana (Alexandra Henkel) schließt sich der Gedenkfahrt nolens volens an, nicht ohne an ihrem Bruder Serge ständig etwas zum Nörgeln zu finden. Roland Koch verleiht der Titelfigur tatsächlich die müde Existenz eines Losers, der an unmöglichen Orten raucht und den Argumenten seiner Tochter Joséphine (Lilith Häßler) nichts entgegen zu setzen hat. Die einzig strahlende Figur ist Onkel Maurice (ungemein präsent: Martin Schab). Umsorgt von der resoluten Pflegerin Paulette (Inge Maux, auch als geheimnisvoll erscheinende jiddische Mamme) versucht er, den Jüngeren das Selbstbewusstsein eines Juden zu vermitteln. Aufgrund seines Alters und der Krankheit verlässt er aber die Familie, die nicht einmal im Falle seines Todes zu der ihrer Abstammung eigentümlichen tiefen Trauer und noch weniger zu einer von ihm gewollten Einigkeit findet.

 Die Eingeborenen von Maria Blut Stefanie Dvorak © Susanne Hassler-Smith

Die Eingeborenen von Maria Blut, Stefanie Dvorak © Susanne Hassler-Smith

DIE EINGEBORENEN VON MARIA BLUT Keine Wunder für Orange-Trachtträger

 Die Eingeborenen von Maria Blut © Susanne Hassler-Smith

Die Eingeborenen von Maria Blut © Susanne Hassler-Smith

Schwer verdauliche Kost unbekömmlich zubereitet und zitzerlweise serviert

Es ist ein Privileg der Jugend, die Welt erfunden zu haben, alles zu wissen und gerechter als Salomon über die Alten urteilen zu können. Damit ist auch der von Lucia Bihler und Alexander Kerlin für die Bühne bearbeitete Roman von Maria Lazar eine gnadenlose Moralpredigt, in der vorgeborene Menschen als Schwächlinge, Deppen, bigotte Betschwestern oder Nazis vorgeführt werden. Die jüdische Schriftstellerin Lazar hat in ihrem Roman die Eingeborenen von Maria Blut als Protagonisten einer sie ablehnenden Gesellschaft beschrieben. Sie war der Seismograph, der in einer von ihr erfundenen Stadt, einem Wallfahrtsort, seiner Mirakel wegen vergleichbar mit Lourdes, die verhängnisvollen Schwingungen der 1930er-Jahre in Österreich verortet hat. Ja, man sollte dieses Stück mahnende Literatur lesen, daraus Schlüsse auf aktuelle, sich gefährlich an einem von Zukunftsängsten verdunkelten Horizont abzeichnende Tendenzen ziehen und sein Denken danach ausrichten. Aber bitte nicht undifferenziert! Vor allem nicht mit dem Hochmut der im Nachhinein alles besser Wissenden, wie es in dieser Inszenierung von Lucia Bihler im Akademietheater zelebriert wird.

 Die Eingeborenen von Maria Blut Philipp Hauß, Jonas Hackmann © Susanne Hassler-Smith

Die Eingeborenen von Maria Blut, Philipp Hauß, Jonas Hackmann © Susanne Hassler-Smith

Die Eingeborenen von Maria Blut © Susanne Hassler-Smith

Die Eingeborenen von Maria Blut © Susanne Hassler-Smith

Die Bühne dominiert eine riesige Marienstatue, deren Mantel von zwei geflügelten Adoranten getragen wird. Gütig, aber im Übrigen wenig um das Wohlergehen in ihrer Pilgerstätte bekümmert blickt diese angebliche Wundertäterin auf das fatale Geschehen zu ihren Füßen. Die sogenannten Eingeborenen erscheinen in orange salopper Tracht, ergänzt mit transparentem Kunststoff, und sofern es sich um namenlose Maria Bluter handelt, mit einer Kopfmaske mit gleichgültig scheinenden Gesichtszügen. Sie debattieren angeregt über Arbeitslosigkeit, Fehlinvestitionen und böse Gerüchte im Ort. Ihr wahres Gesicht zeigen u. a. der Sozialist und Arzt Dr. Lohmann (Philipp Hauß), die von ihm geschwängerte Haushälterin Toni (Stefanie Dvorak), der zur Führerfigur erstarrte Vinzenz, genannt Pimperl (Jonas Hackmann) oder Robert Reinagl als desillusionierter Pater Lambert. Der greise Rechtsanwalt Meyer-Löw (Dorothee Hartinger) hat aufgrund aufflammenden Judenhasses resigniert, anders dessen Haushälterin Marischka (Lili Winderlich), die lautstark ihr Recht von den Gois einfordert. Das Ensemble ist durchwegs in mehreren Rollen gefordert, was es stellenweise schwierig macht, als Zuschauer die jeweils richtige Person in die Handlung einzuordnen. Da diese aber in kleinen, schwarz zerhackten Sequenzen erzählt wird, lässt sich das Zeitalter der Eingeborenen wie löfferlweise verabreichte bittere Medizin letztlich doch heilbringend einnehmen.

Zwiegespräch, Ensemble © Susanne Hassler-Smith

Zwiegespräch, Ensemble © Susanne Hassler-Smith

ZWIEGESPRÄCH als Monologe in der Seniorenresidenz

Branko Samarovski, Martin Schwab, Hans Dieter Knebel © Susanne Hassler-Smith

B. Samarovski, M. Schwab, H. Dieter Knebel © Susanne Hassler-Smith

Peter Handke (80) versucht sich als Großvater zu definieren

Mittels einer Reise nach Jerusalem werden die Teilnehmer dezimiert. Die betagten Herrschaften sind nach eigner Aussage spielsüchtig und nehmen es in kauf, ausgesackelt und in die Finsternis gestoßen zu werden, wenn für sie kein Sessel übrig bleibt. Insassen einer Seniorenresidenz wollen schließlich unterhalten werden, damit ihr Geist wach bleibt. Peter Handke, der mittlerweile weiß, wie es sich anfühlt, 80 zu sein, lässt seinen Text mit dem irreführenden Titel „Zwiegespräch“ – es handelt sich eher um verzweifelte Monologe – in einem solchen Altenheim spielen. Es bleibt offen, ob er sich selbst mit dem Großvater meint oder irgend einen der anderen, am Rande der Demenz schrammenden Greise, die von adretten Pflegerinnen auf einem zum Rollstuhl umfunktionierten Bürosessel durch die Gegend geschoben und per Trillerpfeife kommandiert werden. Es sind eher Satzfetzen als sinnvoll zusammenhängende Texte, eher ein kurzes Aufflammen von Erinnerungen als Geschichten, wie sie ein Opa seinen Enkerln erzählt. Es geht darin um Zitate von Victor Hugo, Rilke oder Handke, um ein zugemauertes Hornissennest, um die Bühnendekoration eines Kindertheaters oder um ein Haus mit TV-Antennen am heimeligen Giebel.

Elisa Plüss, Maresi Riegner © Susanne Hassler-Smith

Elisa Plüss, Maresi Riegner © Susanne Hassler-Smith

Zwiegespräch, Ensemble © Susanne Hassler-Smith

Zwiegespräch, Ensemble © Susanne Hassler-Smith

Als Zuschauer könnte man hinter jeder Wortspende den ganz tiefen literarischen Sinn suchen. Ob man ihn findet, bleibt dahingestellt. Sieger im Sesseltanz ist Martin Schwab. Er hat demnach auch den größten Textanteil, den er mithilfe der Souffleuse in wunderbares Schauspiel umsetzt. Aber wie es bei alten Leuten einmal so ist, wiederholen sie Tag für Tag dieselben kleinen Anekdoten aus ihrem Leben. Deswegen können die beiden Pflegerinnen aushelfen und ihrerseits dort fortfahren, wo einer der Senioren stecken geblieben ist. Brav sagen Elisa Plüss und Maresi Riegner alles auf, was den Großvätern (neben Schwab auch Hans Dieter Knebel und Branko Samarovski) am Herzen liegt. Sie könnten deren Enkeltöchter sein, wie auch die Regisseurin Rieke Süßkow und der Rest des Leading Teams. Beachtlichen Applaus erhielt diese Kombination aus männlich Alt und weiblich Jung bei der mutigen Uraufführung dieses Alterswerks von Peter Handke auf der Bühne des Akademietheaters.

Bless Amada © Karolina Miernik

Bless Amada © Karolina Miernik

ENGEL IN AMERIKA Bühnenfest für die queere Community

Markus Scheumann, Felix Rech © Susanna Hassler-Smith

Markus Scheumann, Felix Rech © Susanne Hassler-Smith

Die latente Aktualität in einem mit dem Pulitzerpreis geehrten Stück der Reagan-Ära

Das erste Wort hat Rabbi Isidor Chemelwitz, eine mit grauem Vollbart als Mann verkleidete Barbara Petritsch. Anlässlich eines Begräbnisses regt er sich furchtbar darüber auf, dass ein Enkelkind des Verstorbenen Eric heißt. Ein Goi-Namen passt überhaupt nicht in diese fromme jüdische Gemeinde, die einst aus Osteuropa in die USA eingewandert und in der Neuen Welt in ihren uralten Traditionen verhaftet geblieben ist. Regisseur Daniel Kramer hat damit ein Statement gesetzt und mit dieser humorigen Szene die Probleme mit Geschlecht, Hautfarbe, Religion und sexueller Orientierung aufgerissen. Zudem erinnert der Vorhang in den Regenbogenfarben an Pride-Parades und den Life-Ball, dem bunten Fundraising für die AIDS-Bekämpfung. Dadurch ist auch der Bogen aus den 1980er-Jahren in New York zum Heute in Wien gespannt und dem Publikum die Aktualität des in den frühen 1990ern von Tony Kushner verfassten und mit dem Pulitzerpreis bedachten Theater-Epos´ „Engel in Amerika“ ins Bewusstsein gehämmert. Was als Abrechung mit der Reagan-Ära, die mit dem Aufkommen der zumeist tödlich verlaufenden Geschlechtskrankheit zusammenfällt, gedacht war, kann sich durchaus auch anno 2022 sehen lassen. Geändert hat sich seit damals nichts.

Bless Amada, Annamária Láng © Karolina Miernik

Bless Amada, Annamária Láng © Karolina Miernik

Barbara Petritsch © Karolina Miernik

Barbara Petritsch © Karolina Miernik

Trotz der verständlichen Aufgeregtheit, mit der die Figuren aufeinander prallen, vermisst man dennoch Ruhe und Nuancen. Vom Ensemble des Burgtheaters ist man das ständige Aufeinandereinbrüllen nicht gewohnt. Wie es funktionieren könnte, beweist Nils Strunk als Textverarbeiter Louis Tronson. Der (jüdische) Ex-Liebhaber von Prior Walter (Patrick Güldenberg), einem an AIDS leidenden Privatier, macht sich an den Mormonen Joe (Felix Rech) heran und erweckt mit einem scheuen Küsschen dessen tief in der Seele vergrabene Homosexualität.

So erahnt auch ein Hetero das erotische Prickeln zwischen zwei Männern. Markus Scheumann ist der ultrakapitalistische Anwalt Roy M. Cohn, der ebenso gerne bei Joe landen würde und ungemein streitbar dazu seine Immunerkrankung als Krebs ausgibt. Schreiduelle gibt es auch im Hause von Joseph Porter Pitt (Joe), wenn sich dessen Valium abhängige Ehefrau Harper Amaty (schwer verständlich: Annamária Láng) über sein sexuelles Desinteresse an ihr beklagt. Ein Meister der Verkleidung in phantastische Kostüme (Shalva Nikvashvili) ist Bless Amada, gelassen überzeugend als Dragqueen, Krankenpflegerin, Kämpfer gegen Rassismus und als Valiumkapsel. Wo bleiben da die Engel? Safira Robens versucht, deren Rolle in dem queeren Spiel zu definieren und gibt dem im Todeskampf liegenden Prior sehr theatralisch Perspektiven: „Sieh nach oben! Sieh nach oben! Bereite den Weg...“, denn die raffiniert eingerichteten Särge als düstere Bühnenausstattung im Akademiethater haben längst noch nicht ausgedient.

Patrick Güldenberg © Susanne Hassler-Smith

Patrick Güldenberg © Susanne Hassler-Smith

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