Kultur und Weindas beschauliche MagazinBeppo Binder, Ensemble © Christian Husar CHESS Schach-Leidenschaft in Musik ausgedrückt
Inspiration für den Briten Tim Rice war wohl die Weltmeisterschaft im Schach anno 1972, als der exaltierte Amerikaner Bobby Fischer den Russen Boris Spassky in Reykjavík in einem Aufsehen erregenden Turnier besiegte. Erstmals hatte die Welt an diesem an sich ruhigen und unspektakulären Spiel derart intensiv Anteil genommen, dass die Menschen vor den Fernsehern gebannt die einzelnen Züge verfolgten und kommentierten. Aber nur wenige ahnten, was sich dabei im Hintergrund abspielte. Die Sowjetunion galt als Großmacht des Schachspiels und wollte seine Vormachtstellung nicht verlieren; zumal sie damit ihr politisches System gegen den in ihren Augen degenerierten kapitalistischen Westen verteidigte. Der Musicaltexter Rice drehte in den 1980er-Jahren die Geschichte um und ließ den Russen gegen einen verrückten Ami gewinnen. Dazu packte er eine Liebesgeschichte quer über die Ideologien in das Geschehen. Für die Komposition gewann er Benny Andersson und Björn Ulvaeus von ABBA, die damit nebenbei zwei Hits landeten. „One Night in Bankok“ und „I Know Him So Well“ sind bis heute Evergreens geblieben. Geschafft wurde damit scheinbar Unmögliches: Die Leidenschaft für Schach in adäquate Musik umzusetzen und das Interesse der Öffentlichkeit sowohl für das Bühnenstück als auch für gefinkelte Züge auf dem Schachbrett zu gewinnen.
Für die Bühne Baden ist „Chess“ zur Sensation dieses Sommers geworden. Andreas Gergen, designierter Intendant, hat mit der Regie einen vielversprechenden Vorgeschmack auf seine zukünftige Tätigkeit an diesem Haus gegeben. Die berühmten vierundsechzig Felder dominieren die Bühne (Momme Hinrichs), auf der die beiden Schauplätze von Schachweltmeisterschaften dazu projiziert werden. Dazwischen ist ein Ensemble am Werk, das seiner Zuhörerschaft streckenweise den Atem nimmt. Allein das Ballett ist vielseitig gefordert. Schachfiguren umtanzen die Protagonisten und eine knallige Volkstanzgruppe in Merano, wo der fidele Bürgermeister Beppo Binder das Sagen hat, übt sich in folkloristischem Schuhplatteln. Der Chor überrascht durch Auftritte aus dem Auditorium und vertritt eine von plötzlicher Schachmanie erfasste Gesellschaft. Am Pult des Orchesters der Bühne steht Victor Petrov, der Herrscher über einen mächtigen Sound, der nicht zuletzt für die von dieser Aufführung verursachte Begeisterung verantwortlich ist.
Es beginnt mit einem Prolog in Budapest, in dem die achtjährige Florence Vassy im Aufstand gegen die Sowjets 1956 ihren Vater verliert. Als Erwachsene ist sie US-Bürgerin und wird zu einer Art Managerin von Frederick Trumper, dem amerikanischen Schachgenie. Femke Soetenga verwandelt deren emotionalen Wechsel zum russischen Großmeister von anfänglichem Interesse glaubhaft in Liebe, die sich letztendlich jedoch als naives Gefühl herausstellen soll.
Thomas Weinhappel, Ensemble © Christian Husar/Bühne Baden TOSCA Ein Adieu mit großer italienischer Oper
Es sind politisch höchst unsichere Zeiten. Der Versuch einer Republik war gewaltsam beendet worden und deren Protagonisten werden grausam verfolgt. In der Stadt herrscht Polizeiterror als Folge des Einmarsches der neapolitanischen Armee unter König Ferdinand IV. Er ist mit einer Tochter Maria Theresias verheiratet und steht noch im Eindruck der Hinrichtung von deren Schwester Marie-Antoinette im Zuge der französischen Revolution. Das Schicksal der Stadt Rom hängt nun vom Ausgang einer Schlacht zwischen Österreich und Napoleon ab (Marengo, 14. Juni 1800). Das Kriegsglück pendelt eine Weile zwischen den Heeren. Genau in diesem Hin und Her, beherrscht von Hoffen und Bangen auf Seiten der Republikaner, spielt das Drama La Tosca von Victorien Sardou, das Giuseppe Giacosa und Luigi Illica für den Komponisten Giacomo Puccini zu einem zutiefst italienischen Libretto geformt haben. Die Handlung selbst ist frei erfunden, bewegt aber bis heute die Menschen, da es um den zeitlosen Einsatz für Freiheit geht, verbunden mit Melodien, die das Herz ergreifen.
Es ist ein mutiges Unterfangen, eine Oper wie Tosca in einem für diese Verhältnisse doch kleinen Haus auf den Spielplan zu setzen. Michael Lakner, scheidender Intendant der Bühne Baden, hat selbst die Regie übernommen und seinem treuen Publikum ein Abschiedsgeschenk überreicht. Nach den ihm gebotenen Möglichkeiten hat er das absolute Optimum herausgeholt. Das betrifft zuerst einmal die Inszenierung. Lakner hat sich treu an das Original gehalten, sogar in der Sprache, wohl wissend, dass Italienisch zwar kaum verstanden wird, aber doch ein wesentlicher Teil der Musik ist. Eine kurze Inhaltsangabe aus dem Off vor jedem Akt genügt vollkommen, um die Handlung verfolgen zu können. Manfred Waba brauchte in der Ausstattung nicht zu sparen und hat ein bewundernswert authentisches Bühnenbild geschaffen, angefangen von der Kirche Sant´Andrea della Valle über den Palazzo Farnese bis zum Schwert schwingenden Erzengel Michael über der nach ihm benannten Engelsburg. Ebenso an die Zeit gehalten hat sich Alexia Redl, die vom Bischofsornat bis zu den Uniformen der Schweizer Garde bis ins Detail stimmige Kostüme entworfen hat.
Eine noch größere Herauforderung sind wohl die Solistinnen und Solisten. Opernfreunde haben bei Cavaradossi oder Tosca die größten Stimmen im Ohr. In Baden wurde für die ewig eifersüchtige und doch innig liebende Sängerin die Sopranistin Natalia Ushakova verpflichtet. Mit gewaltigem spielerischen Einsatz, (trotz angesagter Probleme) sicherer Stimme und einem zu Herzen gehenden „Vissi d´arte“ (Ich habe für die Kunst gelebt) hat sie sich den Jubel verdient, der ihren Auftritt belohnt hat. Mario Cavaradossi muss sich im ersten Akt mit dem Mesner herumschlagen.
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