Kultur und Weindas beschauliche MagazinNina Bezu, Beppo Binder, Branimir Agovi, Ensemble © Christian Husar/Bühne Baden DIE LUSTIGE WITWE lässt „très charmant“ die Männer tanzen
Irgendwo auf dem Balkan, ursprünglich war Montenegro gemeint, ist das Geld ausgegangen. Damit ist auch die Botschaft in Paris nicht gerade elegant. Aber es wird gefeiert, was das Zeug hält, denn es blitzt Hoffnung auf, als die Witwe und Alleinerbin eines stinkreichen Bankiers aus Pontevedro ihren Besuch ansagt. Die Hochzeit mit einem Landsmann sollte die Staatsfinanzen sichern. Die Wahl des Bräutigams fällt ausgerechnet auf Graf Danilo Danilowitsch, den Gesandtschaftssekretär, der am Tage schläft und sich des Nachts im Maxim mit Lolo, Dodo, Joujou, Clocio, Margot und Froufrou vergnügt. Dass zwischen den beiden potentiellen Heiratskandidaten bereits eine gescheiterte Beziehung bestanden hat, ist den Verantwortlichen jedoch nicht bewusst. Wie dieser Riss gekittet werden kann, haben Victor Léon und Leo Stein in einem launigen Libretto gezeigt; mit einer für ihre Zeit um 1900 ungewöhnlich souverän über den Dingen stehenden Frau. Von Franz Lehar, dem Großmeister der Silbernen Operettenära, wurde es als atemberaubend dichte Abfolge von ohrgängigen Melodien in ein sinnlich plüschiges Klangbild gefasst. All das zusammen ergibt einen zeitlosen Hit, der 120 Jahre nach der Uraufführung noch immer volle Häuser garantiert.
Für Regisseur Henry Mason genügten ein kleiner Zeitsprung und ein paar Bereinigungen im Text, um diese an sich fortschrittliche Operette von oft kritisierten Peinlichkeiten zu befreien. So wurde aus dem Studium des anderen Geschlechts der eher abfällige Ausdruck „Weiber“ durch „Frauen“ ersetzt und als Draufgabe im Sinn der Gleichberechtigung von den Damen das Ganze mit den „Männern“ abgehandelt. Zeit des Geschehens sind die 1940er-Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Aber trotz elender Zustände herrscht in Paris das leichte Leben und in Pontevedro noch ein König.
Dazu kommt ein Ensemble mit durchwegs schönen Stimmen, in Klang und Ausdruckskraft absolut dem Genre der leichten Muse entsprechend. Baron Mirko Zeta wird von Andreas Lichtenberger mutig verblödelt. Er hat ja die Idee, den als Diplomat unbrauchbaren, aber als Liebhaber erfahrenen Graf Danilo Danilowitsch (Maximilian Mayer) mit der goldene Eier legenden Gans, pardon, mit Hanna Glawari (Nina Bezu) zu verkuppeln. Dabei entgeht ihm völlig, dass seine eigene Frau ein böses Spiel mit einem jungen Franzosen treibt. Jasmina Sakr ist als Valencienne eine anständige Frau, die auf den um sie werbenden Camille de Rosillon (Robert Bartneck) höchst eifersüchtig ist, ihn aber nicht an sich heran lässt. Dass Vicomte Cascada (Branimir Agovi) und Beppo Binder als Raoul de Saint-Broche keine Chance auf die Hand der Witwe haben, ist von vornherein klar.
Laura Panzeri, Vanessa Heinz, Ensemble © Lalo Jodlbauer WICKED Machtkampf der Hexen im Zauberreich Oz
Die neue Herrscherin im Zauberreich Oz ist eine klassische Tussi, blond, liebt Pink und zirbt beim Reden wie ein Vögelchen. Glinda, die frühere Galinda, hat jedoch eine Freundin, der schon bei der Zeugung im Zuge eines Seitensprungs ihrer Mutter ein schlimmes Erbe ins Leben mitbekommen hat. Ihre Haut ist grün. Klar, dass sie für den Rest der Jugendlichen, die an der Hexenuni von Glizz ihr magisches Handwerk lernen sollen, eine Außenseiterin ist. Durch den Vater wurde ihr aber das Talent der Zauberei in die Gene gelegt, das von ihr zu einer Revolution in Oz genutzt wird. Es ist ein Märchen, das von der Autorin Winnie Holzman (Buch) gemeinsam mit Stephen Schwartz (Musik und Songtexte) im Musical „Wicked“ erzählt wird. Zugrunde liegt dieser Geschichte der gleichnamige Roman des Bestsellerautors Gregory Maguire. Als Longrunner am Broadway in New York (seit 2007 am Gershwin Theater) und noch im selben Jahr mit der deutschen Erstaufführung in Stuttgart wurde es zu einem der erfolgreichsten Musicals der jüngeren Zeit. Mit dem neuen Intendanten Andreas Gergen ist „Wicked“ auch auf der Bühne Baden angekommen, als deutschsprachige Aufführung (Gesangstexte von Michael Kunze und Dialoge von Ruth Deny), die vom Hausherren selbst als fantastische Reise durch eine magische Welt inszeniert wurde. Dabei fehlt es nicht an Wucht, weder in der Bühnengestaltung (Momme Hinrichs) noch im Sound des Orchesters der Bühne Baden unter der Leitung von Sebastian De Domenico, um das Publikum über drei Stunden im Zauberreich Oz mit einem wundersamen Bann zu belegen. Die Begeisterung darüber drückte sich bei der Premiere in einem gewaltigen Applaus, Johlen, Bravorufen und spontanen Standing Ovations aus. Damit scheint auch die Botschaft dieses an sich hochmoralischen Stückes gesickert zu sein, wenngleich es nur ein Märchen und in seinem Ausgang eher unwahrscheinlich ist.
Nicht unschuldig am Erfolg ist auch das Ensemble. Auf den ersten Blick erscheint Mark Seibert als dämonisch allmächtiger Herrscher, der allerdings im Laufe des Geschehens seine Souveränität einbüßt und sich als schräger Politiker sehr heutigen Zuschnitts herausstellt. Man kennt die relative Wahrheit, die in diesem Fall von seiner Pressestelle, verkörpert von Maya Hakvoort als Madame Akaber, den Untertanen verkauft wird. Wer dem Zauberer nicht nach dem Mund redet, wird abserviert. Eine solche Maßnahme betrifft auch Prof. Dr. Dillamond, eine sprechende Ziege, die Beppo Binder vor seinen Schülern in Glizz rührend meckern lässt, bevor er abgeführt wird und im Untergrund verschwindet. Tiere haben das kluge Reden verlernt, außer den fliegenden Affen, mit denen das Reich überwacht wird. Gesichert die Smaragdstadt von einer grünen Armee.
Beppo Binder, Ensemble © Christian Husar CHESS Schach-Leidenschaft in Musik ausgedrückt
Inspiration für den Briten Tim Rice war wohl die Weltmeisterschaft im Schach anno 1972, als der exaltierte Amerikaner Bobby Fischer den Russen Boris Spassky in Reykjavík in einem Aufsehen erregenden Turnier besiegte. Erstmals hatte die Welt an diesem an sich ruhigen und unspektakulären Spiel derart intensiv Anteil genommen, dass die Menschen vor den Fernsehern gebannt die einzelnen Züge verfolgten und kommentierten. Aber nur wenige ahnten, was sich dabei im Hintergrund abspielte. Die Sowjetunion galt als Großmacht des Schachspiels und wollte seine Vormachtstellung nicht verlieren; zumal sie damit ihr politisches System gegen den in ihren Augen degenerierten kapitalistischen Westen verteidigte. Der Musicaltexter Rice drehte in den 1980er-Jahren die Geschichte um und ließ den Russen gegen einen verrückten Ami gewinnen. Dazu packte er eine Liebesgeschichte quer über die Ideologien in das Geschehen. Für die Komposition gewann er Benny Andersson und Björn Ulvaeus von ABBA, die damit nebenbei zwei Hits landeten. „One Night in Bankok“ und „I Know Him So Well“ sind bis heute Evergreens geblieben. Geschafft wurde damit scheinbar Unmögliches: Die Leidenschaft für Schach in adäquate Musik umzusetzen und das Interesse der Öffentlichkeit sowohl für das Bühnenstück als auch für gefinkelte Züge auf dem Schachbrett zu gewinnen.
Für die Bühne Baden ist „Chess“ zur Sensation dieses Sommers geworden. Andreas Gergen, designierter Intendant, hat mit der Regie einen vielversprechenden Vorgeschmack auf seine zukünftige Tätigkeit an diesem Haus gegeben. Die berühmten vierundsechzig Felder dominieren die Bühne (Momme Hinrichs), auf der die beiden Schauplätze von Schachweltmeisterschaften dazu projiziert werden. Dazwischen ist ein Ensemble am Werk, das seiner Zuhörerschaft streckenweise den Atem nimmt. Allein das Ballett ist vielseitig gefordert. Schachfiguren umtanzen die Protagonisten und eine knallige Volkstanzgruppe in Merano, wo der fidele Bürgermeister Beppo Binder das Sagen hat, übt sich in folkloristischem Schuhplatteln. Der Chor überrascht durch Auftritte aus dem Auditorium und vertritt eine von plötzlicher Schachmanie erfasste Gesellschaft. Am Pult des Orchesters der Bühne steht Victor Petrov, der Herrscher über einen mächtigen Sound, der nicht zuletzt für die von dieser Aufführung verursachte Begeisterung verantwortlich ist.
Es beginnt mit einem Prolog in Budapest, in dem die achtjährige Florence Vassy im Aufstand gegen die Sowjets 1956 ihren Vater verliert. Als Erwachsene ist sie US-Bürgerin und wird zu einer Art Managerin von Frederick Trumper, dem amerikanischen Schachgenie. Femke Soetenga verwandelt deren emotionalen Wechsel zum russischen Großmeister von anfänglichem Interesse glaubhaft in Liebe, die sich letztendlich jedoch als naives Gefühl herausstellen soll.
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