Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Drei Winter, Ensemble © Matthias Horn

Norman Hacker, Barbara Petritsch, Maximilian Pulst, Zeynep Buyraç, Daniel Jesch, Branko Samarovski, Sofi Gavril, Regina Fritsch © M. Horn

DREI WINTER Dramatische Zeitreise durch Kroatien

Regina Fritsch © Matthias Horn

Regina Fritsch © Matthias Horn

Die Saga einer an sich unbedeutenden Familie als Spiegel entscheidender Ereignisse

Die 1977 geborene Tena Štivičić macht in ihrem Theaterstück „Drei Winter“ vieles verständlich, das uns als beinahe Nachbarn trotz vieler persönlicher Bekanntschaften mit in Wien lebenden Kroaten und beliebter Urlaube an deren Stränden nicht wirklich bewusst ist. Man könnte sagen, geht mich nichts an! Doch sobald sich der Vorhang des Burgtheaters hebt, hat sich anfängliches Desinteresse in Neugier verwandelt, bis zur Anteilnahme am Leben dieser Menschen, deren Schicksale sich trotz geographischer Nähe zu Österreich doch gründlich von den unseren unterscheiden. Grund für diese Wandlung im Publikum ist weniger der Text als die Inszenierung. Hausherr Martin Kušej hat selbst Regie geführt. Er gehört von seiner Herkunft der Minderheit der Kärntner Slowenen an und hat damit den entsprechend tiefen emotionalen Zugang zu dieser Geschichte. Aus den dreien macht er mit der ersten Projektion vier Winter, wenn er in erschütternden Aufnahmen den aktuellen Krieg in der Ukraine erschreckend spürbar werden lässt.

Nina Siewert, Tilman Tuppy © Matthias Horn

Nina Siewert, Tilman Tuppy © Matthias Horn

Norman Hacker, Regina Fritsch, Andrea Wenzl © Matthias Horn

Norman Hacker, Regina Fritsch, Andrea Wenzl © Matthias Horn

Tena Štivičić selbst hat diese Rückschau auf die Geschichte ihrer Heimat in der kalten Jahreszeit von drei für Kroatien entscheidende Jahre angelegt. Zagreb, 1945: Die Partisanin Ruža zieht mit Mutter Monika, Ehemann Aleksandar und dem Baby Mascha in ein Haus, das verstaatlicht und aufgeteilt wurde. Dort trifft die kleine Familie auf eine Daheimgebliebene, die Tochter eines aristokratischen Nazikollaborateurs. Karolina Amruš darf bleiben und dem Mann, einem Schneider, bei der Arbeit helfen. Schauplatz bleibt das ganze Stück hindurch diese Wohnung.

1990 diskutieren die nunmehrigen Mitglieder der Familie anlässlich des Ablebens der Mutter die über sie hereinbrechenden Veränderungen. Im Fernsehen wird der Auszug von Slowenen und Kroaten aus dem 14. Kongress des Zentralkomitees übertragen. Jugoslawien steht vor dem Zerfall, die Bevölkerung begehrt gegen das kommunistische Regime auf, ein Bruderkrieg zeichnet sich ab. 21 Jahre später versammelt sich dort die Familie zu einem Diner. Es ist der Vorabend der Hochzeit von Lucija mit dem Unternehmer Damjan. Angereist ist dazu ihre streitbare Schwester Alisa aus London. Mutter Mascha kocht ihre x-tausendste Mahlzeit und Vater Vlado steht ungebrochen zu einem persönlichen Entschluss, der ihn einst die Karriere als Historiker gekostet hat. Kroatien führt Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union. In den Auseinandersetzungen kocht Ablehnung und Zustimmung zum Kapitalismus auf, der 2011 schon längst den radikalen Sozialismus abgelöst hat. Erzählt wird diese Familiensaga von einem vielköpfigen Ensemble, das die 66 Jahre in packender Weise erlebbar macht und die drei Stunden und 20 Minuten Spieldauer ungemein rasch verfliegen lässt.

Tilman Tuppy © Matthias Horn

Tilman Tuppy © Matthias Horn

Gunther Eckes, Sarah Viktoria Frick, Maria Happel, Elisa Plüss © Matthias Horn

Gunther Eckes, Sarah Viktoria Frick, Maria Happel, Elisa Plüss © Matthias Horn

DIE GEFESSELTE PHANTASIE Harfenist Nachtigall rockt die Burg

Maria Happel, Bless Amada © Matthias Horn

Maria Happel, Bless Amada © Matthias Horn

Übermütiger Song Contest um die Hand der schönen Hermione

Wenn Poeten unter einer Schreibblockade leiden, wer ist daran schuld? Ferdinand Raimund hat eine Antwort darauf gegeben. Jedoch, diese ist in einem Reich außerhalb unserer Vernunft angesiedelt, auf einer Blumeninsel, auf der dank einer ausschließlich dichtenden Bevölkerung eitel Wonne und Waschtrog herrschen. Dort gibt es Geister wie die beiden bösen Zauberschwestern, Lichtgestalten wie den Gott Apollo und die allseits allein seligmachende Phantasie. Die finsteren Kräfte sind glatt imstande, diese positive Kraft zu bannen und das Reich an den Rand des Untergangs zu führen. Gerettet wird das Eiland nur durch die Heirat der Königin, so sagt es das Orakel. Deren Auge ist auf den armen Hirten gefallen, der beim Aufpassen auf die Schafe zu Herzen gehende Gedichte schreibt. So mir nichts dir nichts will sie sich aber doch nicht binden und schreibt eine Art Song Contest aus. Das beste Poem wird ihre Hand, ihr Herz und die Krone gewinnen. Wie das Original-Zauberspiel ausgeht, ist kein Geheimnis, aber vor dem letzten Votum wird es noch einmal spannend. Die bösen Schwestern haben den versoffenen Nachtigall, seines Zeichens Harfenist in einem Wiener Wirtshaus, als Bräutigam engagiert. Nachdem sich die Phantasie in ihrer Gewalt befindet, ist er der einzige Kandidat und somit müsste es heißen: And the winner is...

Markus Scheumann © Matthias Horn

Markus Scheumann © Matthias Horn

Elisa Plüss, Sebastian Wendelin, Sarah Viktoria Frick © Matthias Horn

Elisa Plüss, Sebastian Wendelin, Sarah Viktoria Frick © Matthias Horn

Herbert Fritsch ist zwar Deutscher, hat aber genügend österreichischen Humor, um in diesem Feen- und Zauberreich über zwei Stunden und 15 Minuten eine virtuose Spaßgesellschaft ihre ausgelassenen Schwänke treiben zu lassen. Der Regisseur, Bühnengestalter und Musikchef kann sich auf ein Ensemble verlassen, das sich für keine Blödelei zu gut ist und über ein wahnwitziges Repertoire an verrückten Bewegungen verfügt. Was irgendwie zum Lachen reizt, wird angewendet. Tim Werths macht nicht nur als poetische Phantasie bella figura, er beherrscht zudem die ans Artistische grenzenden Silly Walks, wie man sie in der Qualität zum letzten Mal bei John Cleese gesehen hat. Jeweils eine Solonummer mit Sonderaplaus haben Markus Scheumann als Hofnarr Muh, wenn er eine ganze verrückte Rede auch von hinten aufsagt, und Sebastian Wendelin.

Als Harfenist Nachtigall gibt er im Wirtshaus zeitgenössische Kompositionen zum Besten. Sarah Viktoria Frick (Vipria) und Elisa Plüss (Arrogantia) sehen für ihren miesen Charakter durchaus hübsch aus, beherrschen Flugnummern und bringen mit dem verbiesterten Charme zweier lediger Schwestern genügend Unheil ins Geschehen. Ihre ersten Opfer sind der aufgeblasene Hofpoet Distichon (Gunther Eckes), der rundum fröhliche Afriduro (Marcel Heuperman) oder der dichtende Schuster Odit (Tilman Tuppy). Gegen das Herzblatt der Königin haben sie freilich keine Chance. Bless Amada ist der verkappte Königssohn und dichtende Schafhirte Amphio, der sich in Hermione verliebt hat. Maria Happel braucht nur aufzutreten und hat schon ihre Lacher. Sie besitzt den wundervollen Humor, sich selbst nicht ernst zu nehmen und dabei ernsthaft komisch zu sein. Ferdinand Raimund hat dem Stück zwar eine tiefe Wahrheit zugrunde gelegt, hätte es wohl aber akzeptiert, dass „in der ganzen Komödie nur 8 serieuse Scenen seyen“ (aus einem alten Theaterprogramm) und in diesem geglückten Fall nicht einmal eine einzige.

Tim Werths © Matthias Horn

Tim Werths © Matthias Horn

Felix Kammerer, Markus Meyer, Dagna Litzenberger Vinet, Sylvie Rohrer © Marcella Ruiz Cruz

Felix Kammerer, Markus Meyer, Dagna Litzenberger Vinet, Sylvie Rohrer © Marcella Ruiz Cruz

DER ZAUBERBERG Dramatische Kurzfassung eines Großromans

Felix Kammerer, Markus Meyer, Dagna Litzenberger Vinet © Marcella Ruiz Cruz

F. Kammerer, M. Meyer, D. Litzenberger Vinet © Marcella Ruiz Cruz

Die Geborgenheit einer kleinen Welt, an deren Ende der Tod steht

Thomas Mann blickte nach dem „Weltfest des Todes“ auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurück. In einem Schweizer Sanatorium hoch oben in den Alpen nahe Davos lässt er seine Charaktere in trügerischer Bequemlichkeit die Abgeschiedenheit vom Geschehen unten in Liegenkuren, Fiebermessen und fünf opulenten Mahlzeiten am Tag feiern. Wie ein Menetekel hängt über allen die Krankheit, TBC, die nur wenige geheilt entlässt. Die anderen beschließen ihre Tage in Frieden auf dem Berg. Ihre Zimmer werden ausgeräuchert, um für die nächsten, durchwegs hoffnungsvollen Erkrankten Platz zu bieten. Hans Castorp, ein nach eigenem Befinden kerngesunder junger Mann, besucht seinen Vetter. Joachim ist Offizier und hadert mit dem Umstand, dass sein Aufenthalt immer wieder verlängert wird. Die Entscheidung darüber trifft Hofrat Behrens, der auch in Hans das Leiden diagnostiziert und einen neuen Patienten gewonnen hat. Die Langeweile führt zu intensiven Gesprächen, unter anderem mit Settembrini, einem Humanisten, Freimaurer und „individualistisch denkenden Demokraten“. Die Liebe kommt ins Spiel, als Hans in der schönen Russin Chauchat seine erste Liebe wieder erkennt, den Schulkollegen Hippe. Sieben Jahre verfliegen wie im Traum, bis die Botschaft von der Einberufung zum Militär auch auf diesen Zauberberg vordringt und es Abschiednehmen von Hans heißt.

 Der Zauberberg Felix Kammerer © Marcella Ruiz Cruz

Der Zauberberg Felix Kammerer © Marcella Ruiz Cruz

 Der Zauberberg / Burgtheater Dagna Litzenberger Vinet © Marcella Ruiz Cruz

Dagna Litzenberger Vinet © Marcella Ruiz Cruz

Regisseur Bastian Kraft hat für das Burgtheater versucht, das Unmögliche möglich zu machen. Ein umfangreicher Bildungsroman, ins Unendliche ausgeweitet mit der epischen Ruhe grandioser Formulierungen, mit ozeantiefen Gedanken in jedem Satz und einer Handlung, bestehend aus unausgesprochenen Emotionen, wurde dennoch packend auf zwei Stunden und zehn Minuten konzentriert. Als Kulisse genügt ein stilisierter Alpengipfel, der gleichzeitig als Projektionsfläche für Videos dient. Darauf turnen, liegen oder stehen kurend vier Darsteller in neutralen Kostümen:

Die Bergwanderer sind Felix Kammerer, Dagna Litzenberger Vinet, Markus Meyer, Silvie Rohrer. Der Geniestreich besteht darin, dass diese vier die in realistisch wirkender Maske eingeblendeten Romangestalten synchronisieren, besser als mit so mancher LifeCam, da die Mundbewegungen stimmen; eine nahezu unbegreifliche Leistung, wenn man bedenkt, dass es (zumindest keine sichtbaren) Monitore gibt. Dabei spielt es keine Rolle, dass allseits eine Verwirrung der Geschlechter herrscht, sowohl bei den Sprechenden als auch bei den Projizierten. Das Publikum ist, nach dem begeisterten Schlussapplaus zu schließen, von diesen toll bewältigten Tricks gebannt und vergisst gerne, was Thomas Mann sonst noch alles an Gescheitem in diesen Roman hineingeschrieben hat. Aber wer hat sich schon durch die gut 760 Seiten von „Der Zauberberg“ gebissen? Nicht umsonst zählt diese Schwarte für den Aktionskünstler Julius Deutschbauer (derzeit sind seine originellen Plakate im MAK zu sehen) zu einem Spitzenreiter in seiner Bibliothek der ungelesenen Bücher.

 Der Zauberberg / Burgtheater Sylvie Rohrer © Marcella Ruiz Cruz

Der Zauberberg / Burgtheater Sylvie Rohrer © Marcella Ruiz Cruz

Markus Meyer, Marie-Luise Stockinger, Felix Rech © Matthias Horn

Markus Meyer, Marie-Luise Stockinger, Felix Rech © Matthias Horn

KASIMIR UND KAROLINE Verismo brutalo auf Horváths Wiesen

 Kasimir und Karoline Ensemble © Matthias Horn

Kasimir und Karoline Ensemble © Matthias Horn

A tragisch b´soffene G´schicht´ in und über dem Klo am Oktoberfest

Die 1930er-Jahre waren eine spiegelglatte Zeit, auf der in Deutschland und nicht nur dort die Gesellschaft in Extreme ausgeglitten ist. Arbeitslosigkeit und Klassenkampf schufen eine verhängnisvolle Mischung aus Aggression, Verzweiflung und verirrten Hoffnungen. Ödön von Horváth hat sie in seinen Romanen und Theaterstücken mit einer nahezu prophetischen Anschaulichkeit geschildert. Eines der düstersten Beispiele ist das 1932 entstandene „Volksstück“ „Kasimir und Karoline“. Am Horizont blitzte bereits das Wetterleuchten des Nationalsozialismus wie ein Irrlicht der Erlösung. Nur einigen wenigen geht es – nach unseren heutigen Begriffen – gut. Die anderen müssen das bisserl Geld genau abzählen, bevor sie es für ihr Vergnügen ausgeben, denn das Münchner Oktoberfest wollte niemand verpassen. Eine Fahrt mit der Hochschaubahn sollte drin sein, sowie etliche Maß Bier und auf jeden Fall eine neue Bekanntschaft, die von dort abgeschleppt werden sollte. Dass Kasimir einen schweren Stand hat, ist klar. Er wurde tags zuvor entlassen. Man brauchte ihn als Chauffeur nicht mehr. Seine Braut, die Karoline, kann auch nicht über ihren Schatten springen. Sie verdient ja noch ihr Geld. Die Auseinandersetzung ist vorprogrammiert, zumal Alkohol, sein schräger Freund und ihr latenter Wille nach oben die Streiterei bis zum bitteren Ende befeuern.

Mavie Hörbiger, Christoph Luser, Felix Rech, Lili Winderlich, Maresi Riegner © Matthias Horn

Mavie Hörbiger, Christoph Luser, Felix Rech, Lili Winderlich, Maresi Riegner © Matthias Horn

Regisseurin Mateja Koležnik hat für das Burgtheater den Text von Horváth neu gelesen und ihre in jeder Weise konzentrierte Fassung packend in zwei Etagen (Bühne: Raimund Orfeo Voigt) auf die Bühne gestellt. Oben bemühen sich Sanitäter um Alkoholleichen und Verletzte aus den Raufereien. Es wird lustig aufgespielt, gegrölt, getanzt, gesoffen und auf primitivste Weise nach sexuellen Kontakten mit den allgegenwärtigen Huren gegiert. In den Aborten darunter darunter versammeln sich die abgesackten Typen, um neben menschlichen Bedürfnissen wieder eine Spur von Frische ins Gesicht und nach einem Gewitter die Frisur am Föhn trocken zu kriegen.

Dort unten kommen auch die beiden „noblen“ Herren Kommerzienrat Rauch (Markus Meyer) und Landesgerichtsdirektor Speer (Markus Hering) der an den Waschtisch abgetauchten Karoline näher. Marie-Luise Stockinger ist ja wirklich eine hübsche Frau, der man auf der Stelle glaubt, dass sie auf ihren Freund Kasimir (ein erstaunlich besonnener Arbeitsloser: Felix Rech) angefressen ist. Aber mit dem braven Schürzinger (Jonas Hackmann ist der biedere Zuschneider und Antialkoholiker) kann sie sich halt gar nichts anfangen. Kasimir wär´ ja doch der Richtige für sie. Er widersteht sogar den Verlockungen eines kleinen Ganoven zum schnellen Geld. Der Merkel Franz (Christoph Luser) ist ein Brutalinski, der seine Braut Erna (Mavie Hörbiger) hertrickert wie nix und längst Erfahrung als Häfenbruder hat. Sie alle spielen mit einer Intensität, die Angst macht. Doch die sich anschleichende Bangigkeit ist sogar heilsam. Deren Auslöser ist die Aktualität, die in dieser Inszenierung spürbar deutlich wird und vergessen lässt, dass sich das Ganze ja schon vor 90 Jahren abgespielt hat.

Jonas Hackmann, Markus Meyer, Marie-Luise Stockinger © Matthias Horn

Jonas Hackmann, Markus Meyer, Marie-Luise Stockinger © Matthias Horn

Christoph Luser, Nina Siewert © Matthias Horn

Christoph Luser, Nina Siewert © Matthias Horn

WIE ES EUCH GEFÄLLT Vom Zeitgeist verwirrtes Magenta-Einhorn

Wie es euch gefällt, Ensemble © Matthias Horn

Wie es euch gefällt, Ensemble © Matthias Horn

Rahmenhandlung und Zitate von Shakespeare für ein Ensemble, das sich über seine eigenen Schmäh amüsiert

Regisseurin Tina Lanik war offenbar von Rosalindes listiger Travestie dermaßen angetan, dass sie in ihrer Inszenierung von „Wie es euch gefällt“ gleich radikal jede Geschlechtszuordnung gelöscht bzw. im Bereich von LGBTQ+* in allen darin angedeuteten Spielarten besetzt hat. Ein erfrischendes Beispiel dafür ist Touchstone, der Narr, die Närrin oder beides oder nichts davon, dank einer ungemein quirligen Andrea Wenzl, die als androgyne Figur ihre verrückten Weisheiten der sexuell vielseitig orientierten Gesellschaft um die Nase reibt. Dabei drängt sich jedoch der Verdacht auf, ob das Burgtheater nicht mit einem bekannten Internetanbieter einen Sponsorvertrag abgeschlossen hat. Dessen auffällige Farbe bestimmt konsequent Beleuchtung und Kostüme, sogar das Einhorn im Wald von Arden ist Magenta. Gleichermaßen für Verwirrung sorgt Oskar Haag, ein Barde, der seine Songs mit der Gitarre begleitet, aber erst an der Stimme als Mann erkennbar ist, so feminin erscheint er in hauchdünnem lila Fetzen als Sängerin.

Alexandra Henkel, Lukas Vogelsang © Matthias Horn

Alexandra Henkel, Lukas Vogelsang © Matthias Horn

Wie es euch gefällt, Ensemble © Matthias Horn

Wie es euch gefällt, Ensemble © Matthias Horn

Was bleibt von Shakespeare? In groben Zügen die Handlung und einige Zitate (Übersetzung: Jürgen Gosch und Angela Schanelec), die stolz als solche präsentiert werden. Der Rest stammt laut Programmheft von Tina Lanik selbst, Jeroen Versteele und dem Ensemble. Man spürt die Hetz, mit der ans Werk gegangen wurde. Martin Reinke ist in Personalunion der böse Frederick und der alte Herzog in der Verbannung, was weiter nicht stört, denn am Ende sind ja beide gute Kerle und die Herrschaft wieder in rechten Händen. Aus Oliver wird Olivia (Alexandra Henkel), die garstige Schwester von Orlando, die sich nach ihrer Rettung in Celia (Sabine Haupt) verlieben muss.

Der vierschrötige Ringer Charles (Lukas Vogelsang) wird im Handumdrehen zu Audrey, dem Bauernmädchen, das mit dem zarten Touchstone seine Liebe findet. Dazwischen webt Tilman Tuppy als schwuler Le Beau, als hetero Schäfer Silvius, der hoffnungslos in Phebe (Dunja Sowinetz) verknallt ist, und als Gefolgsmann des alten Herzogs durch das mit wild gezogenen Vorhängen angedeutete Unterholz dieses geheimnisvollen Forstes. Als greiser Diener Adam wird Elisabeth Augustin von Orlando wie einst Priamos von Aeneas in die Sicherheit der Wildnis getragen und der Melancholiker Jaques von Charlotte Schwab resolut zum Mannweib verwandelt. Dagegen nehmen sich die Protagonisten skandalös normal aus. Christoph Luser ist der junge Orlando, der den Wald mit Liebesgedichten vermüllt, und Nina Siewert eine reizende Rosalinde. Als Ganymede lehrt sie das patscherte Ziel ihres amourösen Begehrens den richtigen Umgang mit einem Mädchen, einfach einem weiblichen Geschöpf, das wie die anderen Paare am Ende von Hymnen, dem Gott der Heirat, mit ihrem Partner vereinigt werden will.

Oskar Haag © Matthias Horn

Oskar Haag © Matthias Horn

Jan Bülow, Rainer Galke, Marie-Luise Stockinger © Matthias Horn

Jan Bülow, Rainer Galke, Marie-Luise Stockinger © Matthias Horn

INGOLSTADT Bittere Wasserschlacht um einen Heiligen

Ingolstadt, Ensemble © Matthias Horn

Ingolstadt, Ensemble © Matthias Horn

Ein bayerisches Städtchen an der Donau wird zum Schauplatz radikalen Theaters

Mit ihrem zweiten Stück „Pioniere in Ingolstadt“ (1929) hatte es die junge Schriftstellerin Marieluise Fleißer auf der Stelle geschafft, zuerst einen veritablen Theaterskandal in Berlin zu entfachen, in ihrer Heimat Ingolstadt zur unerwünschten Person mit Hausverbot bei ihrem Vater erklärt und ein paar Jahre später von den Nationalsozialisten auf die „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ gesetzt zu werden. Drei Jahre davor war „Fegefeuer in Ingolstadt“ entstanden, ein ebenfalls brutal wahrhaftiger Spiegel seiner Zeit. Mit dabei war stets Bertold Brecht, den sie bei ihrem Studium der Theaterwissenschaft in München kennengelernt hatte. Im Fegefeuer werden die Nöte des Mädchens Olga thematisiert, das ungewollt schwanger geworden ist und an der Abtreibung scheitert. Sie will das Kind, im Gegensatz zu dessen Vater Peps. Der wasserscheue Roelle, ein selbsterklärter Heiliger mit angeblichen Erscheinungen von Engeln, will sich Olga annehmen, wird von ihr aber zurückgewiesen. Es kommt zu einem grausamen gewaltsamen Reinigungsritual als Revanche der anderen jungen Leute und als Folter für den jungen Mann. Das zweite Stück lässt einen Trupp Pioniere in Ingolstadt einmarschieren, mit allen Misslichkeiten, die eine wild gewordene Soldateska in die bürgerliche Gesellschaft wirft, vom Sadismus eines Feldwebels über Gelegenheitsprostitution bis zu Vergewaltigung eines Dienstmädchens.

Oliver Nägele, Ensemble © Matthias Horn

Oliver Nägele, Ensemble © Matthias Horn

Lukas Vogelsang, Lili Winderlich, Tilman Tuppy, Jan Bülow © Matthias Horn

Lukas Vogelsang, Lili Winderlich, Tilman Tuppy, Jan Bülow © M. Horn

Für das Burgtheater hat der Belgier Ivo van Hove beide Werke ineinander verflochten und mit „Ingolstadt“ radikales Theater geschaffen, als heilsame Herausforderung für das Publikum, das diesen frontalen Angriff auf dramatische Nettigkeit bei der Premiere jedoch durchaus goutiert hat. Er inszeniert eine Wasserschlacht, die teils in einem der Gewässer rund um Ingolstadt und teils an der Donau ausgetragen wird, mit hässlichen Scheinwerfermasten und bunten Leuchtgirlanden, die sich beim Saufen wie ein Hohn auf die Gemütlichkeit eines Biergartens ausnehmen. Marie-Luise Stockinger ist die arme Haut namens Olga, die zwischen Kinderwunsch und Verzweiflung pendelt. Es gibt bei ihr nur eine Gewissheit. Den Anträgen des sonderbaren Heiligen Roelle (Jan Bülow) will und kann sie nicht nachgeben. Kindesvater Peps (Tilman Tuppy) hat jedoch das geringste Verständnis dafür, dass die Abtreibung nicht funktioniert hat.

Oliver Nägele ist dabei der zu Gewaltausbrüchen neigender Vater von Olga, um in den Pionieren einen Feldwebel zu geben, den manch einer der männlichen Zuschauer noch aus eigener Militärzeit kennt: „Knie beugen! Knie strecken! Hinlegen! Aufstehen! Am Stand laufen! Schneller! Schneller!“ und dann durch den Dreck „Robben!“ bis zum Liegenbleiben. Selbstverständlich gehören ihm die bessern Weiber, auch wenn er dafür nichts zahlen will. Auf das Ensemble und dessen Befindlichkeiten wegen trockener Kleidung wird wenig Rücksicht genommen, aber die von ihm kanifelten Soldaten, Burschen und Mädchen aus der Stadt plantschen, wenn sie einmal ordentlich durchnässt sind, lustvoll in den auf der Bühne angerichteten Wasserlachen. Bleibt nur mehr die Frage: Was kann diese freundliche Stadt an der Donau dafür? Die Antwort: Marieluise Fleißer hat das ihr nächst Liegende beschrieben und damit in bösen Zeiten gehörigen Anstoß erregt. Wenn das kein Grund dafür ist, ihre Stücke gerade jetzt auf die Bühne zu stellen, was dann?!

Tilman Tuppy, Jan Bülow, Lukas Vogelsang © Matthias Horn

Tilman Tuppy, Jan Bülow, Lukas Vogelsang © Matthias Horn

Cyrano de Bergerac, Ensemble © Nikolaus Ostermann

Cyrano de Bergerac, Ensemble © Nikolaus Ostermann

CYRANO DE BERGERAC als Überschreibung witzig, stark

Alexandra Henkel, Gunther Eckes, Bless Amada, Franz Pätzold, Lilith Häßle © Matthias Horn

Cyrano de Bergerac, Ensemble © Matthias Horn

Musik und Gags voll Poesie

Von Liebe, Trug und Sympathie

Wenn Theater ins Theater wandelt,

sich´s dann meist im Sinn drum handelt,

dass ein Stück im Stück gespielt

und auf Publikums Verwirrung zielt.

 

Ein Mann mit großer Nase ist verliebt,

die Frau doch nur an Schönling gibt,

was sie an Reiz zu bieten hat,

und so den Falschen nimmt ganz glatt.

 

Dem Nasenbär´n wird´s auch nicht rechter,

dass er Poet ist und ein Fechter.

Er schreibt den Dummrian zu seinem Glück

und bringt die Tragik so ins Stück.

Holprige Verse und gewagte Reime sind ansteckend. Bei „Cyrano de Bergerac“, einer frisch, frechen und pointierten Überschreibung des Originals von Edmond Rostand von 1897 durch Martin Crimp, bricht nach den zweidreiviertel Stunden Poesie-Infusion zwangsläufig die seit Jugendtagen verödet geglaubte dichterische Ader wieder auf. In der Regie von Lily Sykes wird die Bühne des Burgtheaters zur amüsanten Poesiewerkstatt.

Lilith Häßle, Franz Pätzold, Tim Werths © Matthias Horn

Lilith Häßle, Franz Pätzold, Tim Werths © Matthias Horn

Neben aller Hetz wird sie aber auch zum Schauplatz besinnlichen Nachdenkens. Es gibt Krieg und damit Tote, für die stellvertretend mehr und mehr Leiberl mit einem roten Kreuz auf dem Rücken über der Szene hängen.

 Gunther Eckes, Alexandra Henkel, Bless Amada, Tim Werths © Nilolaus Ostermann

Gunther Eckes, Alexandra Henkel, Bless Amada, Tim Werths © Nilolaus Ostermann

Alexandra Henkel, Bless Amada © Matthias Horn

Alexandra Henkel, Bless Amada © Matthias Horn

Das Ensemble flitzt durch den Zuschauerraum, bevor es in die eigentlichen Rollen schlüpft. Bless Amada ist ursprünglich stimmgewaltiger Moderator, damit sich die Zuschauer auskennen, wer da von den Logen aus Zurufe tätigt, später wird er zum verfolgten Dichter Lignère, bevor er sein Temperament am Schlagzeug auslebt. Den überheblichen De Guiche, trotz allerhöchster Protektion ein Loser auf allen Gebieten, lässt Markus Scheumann so richtig unsympathisch an sich selbst scheitern. Leila Ragueneau hat mit Alexandra Werths die umsichtige Lehrerin für Poesie und Bäckerin einer dampfenden Zitronen Tarte gefunden und damit auch einen Ruhepol im turbulenten Geschehen. Tim Werths hat einfach nur fesch zu sein. Er ist Christian, der mit einer akrobatischen Einlage plus Szenenapplaus seine Schwäche im Schreiben von schmachtenden Liebesbriefen deutlich macht. Viel Aufregung gibt es für Gunther Eckes als Le Bret, dessen Hauptaufgabe darin besteht, seinen Freund vor Misslichkeiten zu bewahren. Franz Pätzold, von der Maske mit Mordsriechorgan ausgestattet, vermeidet als Cyrano de Bergerac nämlich keinen Streit, besiegt hundert Angreifer und vertreibt einen Publikumsliebling von der Bühne. An der innig geliebten Roxane muss er jedoch scheitern. Als solche erkennt Lilith Häßle zu spät, dass die Liebesbriefe nicht von Christian, sondern von Cyrano geschrieben wurden. In einer ungemein berührenden Szene sagt sie ihm zu, mit ihm auf die Hinterseite des Mondes zu fliegen, aber mit dem roten Kreuz am Buckel stirbt Cyrano in ihren Armen.

Michael Maertens, Mavie Hörbiger, Ensemble © Matthias Horn

Michael Maertens, Mavie Hörbiger, Roland Koch, Johannes Zirner, Dietmar König © Matthias Hoen

DER STURM als luftige Spielwiese zugiger Regieideen

Nils Strunk, Lili Winderlich © Matthias Horn

Nils Strunk, Lili Winderlich © Matthias Horn

Ein unterhaltsamer Vermittlungsversuch von Shakespeare mit viel Musik und wohl platzierten Zitaten

Eine entlegene Insel wird zum Mikrokosmos und zum Abbild der großen Welt, aus der deren Bewohner aus verschiedensten Gründen dort gestrandet sind. Schon einige Jahre vor der Zeit der Handlung hat es den entmachteten Herzog von Mailand auf dieses Eiland verschlagen. Nachdem er ein Bücherwurm ist und die Zauberei beherrscht, kann er sich die Geisterwelt seines Exils gefügig machen. Ihm unterstehen der Luftgeist Ariel und Caliban, der Sohn der Hexe Sykorax. Die ruhigen Tage des Inselherrschers und seiner Tochter sind jedoch vorbei, als die Besatzung eines Schiffs, bestehend unter anderem aus dem König von Neapel, dessen Sohn und den Bruder Prosperos nach einem Sturm auf die Insel geraten. Prospero hat ihn selbst durch Ariel entfachen lassen, womit sich die Frage stellt, warum er das getan hat. Mit Eintreffen dieser Gesellschaft ist es vorbei mit Beschaulichkeit und Frieden. Es gibt Mordpläne an Prospero, aber auch Vergebung und eine reizende Liebesgeschichte; ein Märchen eben, dessen fantastische, ans Absurde grenzende Handlung nur William Shakespeare schlüssig erzählen kann.

Maria Happel, Mavie Hörbiger, Nils Strunk, Lili Winderlich © Matthias Horn

Maria Happel, Mavie Hörbiger, Nils Strunk, Lili Winderlich © M. Horn

Dietmar König, Michael Maertens, Roland Koch, Johannes Zirner © Matthias Horn

D. König, M. Maertens, R. Koch, J. Zirner © Matthias Horn

Der Isländer Þorleifur Örn Arnarsson hat sich mit seiner Inszenierung von „Der Sturm“ in diesen Schwebezustand zwischen realem Geistertreiben und erfundener Wirklichkeit eingeklinkt. Er entzieht dem Publikum gekonnt den sicheren Boden, der eine Beurteilung des Geschehens nach logischen Maßstäben ermöglicht hätte. Ein probates Mittel dazu ist der Einsatz musizierender Schauspieler unter der Leitung des vielseitigen Musikers Gabriel Cazes. Mit Flügelhorn und Trompete wird gejazzt, genauso aber rockig aufgegeigt und erforderlichenfalls mit romantischem Pop plüschige Stimmung gemacht. Während man in diesen Klängen dahin treibt, genießt man fein rezitierte Zitate aus dem Stück, zum Teil sogar in Originalsprache.

Nils Strunk, Roland Koch, Michael Maertens, Dietmar König © Matthias Horn

Nils Strunk, Roland Koch, Michael Maertens, Dietmar König © Matthias Horn

So ist es eine Wonne, Michael Maertens als Alonso, König von Neapel oder als Trincolo, seinem eigenen Hofnarren, zuzuhören und zuzuschauen, wenn er mit Roland Koch als Kellermeister die missgebildete Kreatur Caliban (Florian Teichtmeister) zum Mord an Prospero überreden will. Auf den Kopf seines eigenen Bruders hat es auch Antonio (Johannes Zirner) abgesehen, der den Bruder des neapolitanischen Königs namens Sebastian (Dietmar König) zum Attentat an Prospero anstiftet. Dass keine dieser Untaten passiert, darauf schauen verlässlich die Geister, allen voran Mavie Hörbiger als Ariel, der souverän um seine Freiheit kämpft. Diese kann ihm nur – in diesem Fall – die Prosperin (Maria Happel) gewähren, die mit Wohlwollen die Verbindung ihrer Tochter Miranda (Lili Winderlich) mit dem netten Ferdinand (Nils Strunk als Königssohn aus Neapel) zur Kenntnis nimmt, um mit dem zentralen Satz „Wir sind aus solchem Stoff, wie Träume sind“ für dankbare Andacht im Auditorium zu sorgen.

Nicholas Ofczarek, Felix Rech, Sarah Viktoria Frick, Oliver Nägele © Matthias Horn

Nicholas Ofczarek, Felix Rech, Sarah Viktoria Frick, Oliver Nägele © Matthias Horn

GESCHICHTEN AUS DEM seltsam fremdartigen WIENER WALD

Maria Happel, Sarah Viktoria Frick © Matthias Horn

Maria Happel, Sarah Viktoria Frick © Matthias Horn

Eine von liebgewordenen „Unanständigkeiten“ befreite Wanderung durch den Dschungel der Großstadt

Regisseur Johan Simons hat es gewagt, eine österreichische Ikone augenzwinkernder Nabelschau grundlegend zu verändern. Der Niederländer hat sich mit dem berühmt berüchtigten Weana Schmäh angelegt, ist diesem dabei aber offenbar aufgesessen. Die tiefschwarzen Abgründe, mit denen der junge Ödön von Horváth in seiner Farce, einem angeblichen Volksstück, virtuos gespielt hat, sind dem Nichtwiener verborgen geblieben. Einfach gesagt, Simons hat die subtile Bösartigkeit, die nahezu jeden einzelnen Typen auszeichnet, nicht wahr haben wollen. So ist es gekommen, dass Alfred (Felix Rech) ein braver, von ehrlichen Skrupeln geplagter junger Mann ist, dessen Anziehungskraft auf Frauen der Attraktivität eines Löschblattes nahekommt. Vom feschen Strizzi, der auf krummen Wegen sein Auskommen mit Wetteinsätzen bei Pferderennen und gelegentlichem Beischlaf mit einer ältlichen Trafikantin bestreitet, ist nichts zu spüren. Ähnliches gilt für Erich, der als 18jähriger Nazi die schlappen Österreicher auf Linie bringen will. Aus ihm ist mit Jan Bülow ein nachdenklicher Jungregisseur geworden, der eher beobachtend, denn als agitierend durch das Geschehen webt.

Geschichten aus dem Wiener Wald, Ensemble © Matthias Horn

Geschichten aus dem Wiener Wald, Ensemble © Matthias Horn

Gertrud Roll, Nicholas Ofczarek © Matthias Horn

Gertrud Roll, Nicholas Ofczarek © Matthias Horn

Der erotische Anziehungspunkt beider Herren wäre laut Horváth die lebensfrohe Valerie, die ihre Sinnlichkeit allzu gern an potente Herren verschwenden möchte. Sylvie Rohrer muss allerdings jeden diesbezüglichen Reiz ablegen, darf kein sexy Outfit tragen und muss die ihrer Figur normalerweise immanente Offenherzigkeit mit kühlem Spiel glaubhaft machen, was auch für eine Schauspielerin ihres Formats eine nahezu unlösbare Herausforderung darstellen dürfte. Das Hauptproblem ist wohl, dass man das Stück schon zu oft und in großartig passender Besetzung erlebt hat. Man wartet auf die Schmankerln, zum Beispiel auf eine dämonische Großmutter, die ihre Umgebung mit pragmatischer Grausamkeit das Gruseln lehrt. Gertrud Roll versucht sich wacker am Bösesein, bleibt aber eine alte, unsympathische Keifen, die sich mit ihrer Tochter (Annamária Láng) Schreiduelle liefert. Ganz schlimm trifft die Verwandlung der Charaktere den Mister, den geborenen Wiener, der in Amerika zu Geld gekommenen ist. Kein Geringerer als Falk Rockstroh muss in seltsamem Kasperlgewand mit deutschem Idiom besoffen herumtaumeln und sich lächerlich machen.

Geschichten aus dem Wiener Wald, Ensemble © Matthias Horn

Geschichten aus dem Wiener Wald, Ensemble © Matthias Horn

Seiner Rolle als eleganter Rittmeister im Ruhestand, der täglich die hervorragende Qualität der Blutwurst lobt und bei der Trafikantin nichts gewonnen hat, bleibt Martin Schwab erfreulich treu. Dass sein Trick, den Zauberkönig (Oliver Nägele) mit dessen auf die schiefe Bahn geratene Tochter zu versöhnen, missglückt, ist nicht seine Schuld. Der von der Entwicklung seines einzigen Kindes erschütterte Vater ist offenbar recht prüde. Denn: Wo sonst Marianne als Nackttänzerin auftritt, zieht Sarah Viktoria Frick züchtig mit Shorts und Top bekleidet eine eher spaßige Show ab. Das ist doch nicht so unanständig, dass man deswegen gleich einen Herzanfall bekommt! Die Lacher an dieser Stelle sind übrigens Maria Happel zu verdanken. Als Koberin, pardon, als Baronin, versucht sie sich am musikalischen Spiel mit Gläsern und assistiert auf der Bühne mit feiner, umwerfender Komik. Ihr Heischen um Applaus samt hintergründigem Grinsen wären alleine schon ein Grund, sich diese Inszenierung anzuschauen, wäre da nicht auch Oskar. Nicholas Ofczarek ist in dem ganzen Wirbel der wohltuend ruhende Pol. Mit eindringlich leiser Stimme „bedroht“ er die in seinen Augen lediglich „störrische“ Marianne: „Du wirst meiner Liebe nicht entkommen“, um sie zuletzt bei Walzerklängen wie eine abgestochene Sau von der Bühne zu schleifen. Eine derart erschütternde Grausamkeit schafft nur einer, der in diesem Wiener Wald mit seinen nur scheinbar heimlichen Gässchen und idyllischen Platzerln als einer der wenigen die Orientierung behalten hat. Dem Publikum bei der Premiere hat diese Performance selbstverständlich gefallen, aber offenbar auch der Rest, worauf beinahe frenetischer Applaus und kräftige Bravorufe schließen lassen.

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