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abstrakt.!? zwischen figuration und abstraktion, Ausstellungsansicht

abstrakt.!? zwischen figuration und abstraktion, Ausstellungsansicht

abstrakt.!? Werke von Laila Bachtiar und „Freunden“

Laila Bachtiar Delphin / Dolphin, 2014 (Detail) © Privatsammlung, Courtesy galerie gugging

Laila Bachtiar Delphin/Dolphin 2014 (Detail) © Privatsammlung, Courtesy galerie gugging

Art brut auf dem Weg vom erkennbaren Motiv zur Gegenstandslosigkeit

Erstmals steht eine Frau im Zentrum einer Ausstellung des museums gugging. Laila Bachtiar (*1971) arbeitet seit 1990 in Gugging und hat in den vergangenen Jahrzehnten ein gewaltiges Œuvre geschaffen. Es sind, neben einigen wenigen Gemälden, hauptsächlich Zeichnungen, liniendominierte Bilder, in denen ihr Lieblingsmotiv, Tierdarstellungen, wieder einen großen Teil einnehmen. Im Laufe der Zeit befreite sich die Künstlerin mehr und mehr von erkennbarer Gegenständlichkeit, ohne sie jedoch radikal zu verlassen. Dieser Weg verbindet mit drei anderen (mittlerweile verstorbenen) Gugginger Künstlern, die ihren Arbeiten gegenübergestellt werden. Im Titel dieser Schau „abstrakt.!? zwischen figuration und abstraktion“ (bis 17. März 2024) hat das Fragezeichen also einen besonderen Stellenwert.

Philipp Schöpke, Ohne Titel, 1995 © Diamond Collection, Wien / Vienna; Art Brut KG

Philipp Schöpke, Ohne Titel, 1995 © Diamond Collection, Wien / Vienna; Art Brut KG

ZIE-1-0075 Erich Zittra © DIAMAND Collection, Wien, Privatstiftung Künstler aus Gugging

ZIE-1-0075, Erich Zittra © DIAMAND Collection, Wien, Privatstiftung Künstler aus Gugging

Die Antwort darauf versucht die Einteilung in vier Kapitel zu geben. „Motiv und Linie“ lässt in einer Blackbox der Zeichnerin auf die Finger schauen. Man kann verfolgen, wie aus einem einfachen Liniengerüst, einer Art Skizze, nach und nach eine Fläche aus dicht gesetzten Strichen entsteht, die beispielsweise ein ursprünglich als Hund auszunehmendes Tier unter den Grautönen der Schraffur für den Blick zu verbergen beginnt. Ihr gegenüber hängen Bilder von Erich Zittra, der, anders als die späte Bachtiar, seine Motive mit vielfarbig überstrichelt hat. In Kapitel 2, Figur, sind es Werke von Philipp Schöpke, die sich, ähnlich wie Bachtiar, zu den Grenzen der Abstraktion hin bewegen.

Auf dem Weg in den nächsten Saal begrüßt das als Sujet des Museums bekannte acrylfarbene Selbstporträt von Rudolf Horacek die Besucher, quasi als Summe der Köpfe davor, die mit Namen, Zahlen, Buchstabenfolgen und „Mannswörth“, dem Geburtsort von Horacek, bereichert wurden. Nun ist die Rede von „Verdichtung“, die neben Bachtiars Gemälde „Delphin“ (2014) durch menschliche Figuren und reine Strichcluster von Rudolf Liemberger erklärt wird. Schließlich wird in „Farbe und Abstraktion“ die weibliche Art brut in Form einer prächtigen Blume mit der farblichen Intensität des Spätwerks von Philipp Schöpke vereint, um in dieser Kombination aus männlichen Großformaten und dem feinfühligen Ausdruck der Künstlerin den Weg Richtung Abstraktion zu weisen. Als Hilfestellung zur Betrachtung gibt es ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm, in dem unter anderem die Kuratorin und künstlerische Leiterin des Hauses Nina Ansperger mit Peter Pongratz über Gegenwart und Zukunft malender und zeichnender Frauen im Gugging Gedanken austauschen wird.

Rudolf Horacek Kopf © Privatstiftung - Künstler aus Gugging

Rudolf Horacek, Kopf © Privatstiftung - Künstler aus Gugging

Entwürfe von Christopher Kane  © NÖ Museum Betriebs GmbH, Ludwig Schedl

Modeentwürfe von Christopher Kane © NÖ Museum Betriebs GmbH, Ludwig Schedl

gugging inspiriert.! mit der Kraft ursprünglichster Kunst

David Bowie und Oswald Tschirtner im Garten von Gugging. 8. September 1994 © Christine de Grancy

David Bowie und Oswald Tschirtner im Garten von Gugging. 8.9.1994 © Christine de Grancy, Courtesy Galerie Crone Berlin Wien

Sie alle fanden hier tiefe Anregungen: Maler, Musiker, Schriftsteller, Modezaren und Fotografinnen

Von den Werken eines Johann Hauser, Oskar Tschirtner oder August Walla geht eine Faszination aus, die sich mit schnöden Worten nur schwer erklären lässt. Tatsache ist, sie lässt niemanden unberührt. Sie bannt die Augen und verursacht auf diesem Weg im Betrachter Emotionen, ob er will oder nicht. Ist es die Wildheit der Striche? Eine in Verzweiflung mit Bleistift oder Pinsel hinaus geschriene Wahrheit? Die deutlich werdenden Spuren einer Geisteskrankheit? Oder alles zusammen? Der Psychiater Leo Navratil war bereits in den 1950er-Jahren vom künstlerischen Potential seiner Patienten in der NÖ-Landesnervenklinik Gugging überzeugt. Er regte sie zum Zeichnen an, um ihnen auf diesem Weg einen Möglichkeit zu eröffnen, das neurologische Leiden, das sie dorthin geführt hatte, nicht gerade zu überwinden, auf jeden Fall aber für sich selbst in einer heilsamen Ahnung zu definieren. Die dabei entstandene Qualität präsentierte Navratil mutig der Öffentlichkeit. Besucher der Ausstellung „Pareidolien“ in der Galerie nächst St. Stephan 1970 gehörten zum guten Teil zur Avantgarde – und sie waren begeistert. Sie standen einer Kunst gegenüber, die vor Urkraft nur so strotzte und die nach dem Wesen ihres Schaffens Suchenden zur kreativen Auseinandersetzung herausforderte.

Gerhard Roth zu Besuch in Gugging © Senta Roth

o.: Gerhard Roth zu Besuch in Gugging © Senta Roth

r.: Peter Pongratz Lob der Schizophrenie © Prof. Karlheinz Essl, Klosterneuburg , Foto: Stefan Fiedler - Salon Iris, Wien,

Peter Pongratz Lob der Schizophrenie, Werk © Bildrecht, Wien 2022

Mit Arnulf Rainer und Peter Prongratz wird auch die Sonderausstellung im museum gugging mit dem Titel „gugging inspiriert.!“ (bis 24. September 2023) eingeleitet. Sie besuchten seinerzeit regelmäßig das „Atelier“, in dem diese Künstler zugange waren, um sich Anregungen zu holen. Als Gegenleistung lehrte Pongratz sie die Technik der Radierung, um ihnen die Verkaufsmöglichkeit zu erleichtern. Er selbst fand zu „Alice im Madland“, einem gewaltig wirksamen Gemälde mit Zitaten von Johann Hauser. Rainer wiederum übermalte kurzerhand das Ausstellungsplakat.

Damit schuf er eine Klammer zwischen der Art brut österreichischer Prägung und seinem Wirken. Diesem genialen „Wettstreit“ der Maler folgt in der Ausstellung ein Schriftsteller. Gerhard Roth wurde durch das Buch „Schizophrenie und Kunst“ auf Gugging aufmerksam. Ab seinem ersten Besuch 1976 wurden die Kunstwerke, aber auch die Menschen zu immer wiederkehrenden Motiven seines Schaffens. Ausgewählte Werke illustrieren an den Wänden die in Vitrinen ausgestellten Bücher von Gerhard Roth. Die Leidenschaft für Schrift verbindet wiederum August Walla mit Johann Rausch, der 2022 acht Tage in dessen voll bemaltem Zimmer verbrachte. Zu sehen sind neben Schriftgemälden 14 „Goldene Porträts“ von Gugginger Künstlern, die kürzlich entstanden sind. Der schottische Modemacher Christopher Kane stieß im Zuge einer Recherche auf Johann Hausers „Die gelbe Frau“. Deren Kleid erinnerte ihn an seinen Entwurf für Prinzess Margaret. Ein Besuch in Gugging brachte in seiner Pre-Fall Cellection Motive von Heinrich Reisenbauer und Johann Korec. Nun stehen einander die modischen Fetzen und die dafür verantwortlichen Bilder gegenüber.

Johann Rausch JÜRGEN TAUSCHER, 2022 Foto: © Ernst Kainerstorfer / www.kainerstorfer.at

Johann Rausch JÜRGEN TAUSCHER, 2022, Foto: © Ernst Kainerstorfer / www.kainerstorfer.at

Ein großer Tag in der Geschichte des Museums war der 8. September 1994. Kein Geringerer als David Bowie suchte die Begegnung mit den dort Kunstschaffenden. In seinem Gefolge befanden sich der Musikproduzent Brian Eno und André Heller, der dieses Treffen wohl eingefädelt hatte. Von kaum einem Ereignis wird man derart anschaulich unterrichtet wie von diesem Besuch. Mit dabei war Christine de Grancy. Als erfahrene Bühnenfotografin hielt sie entscheidende Momente nicht nur fest, sie machte vielmehr das Geschehen, das an sich unsichtbar zwischen den Beteiligten ablief, augenfällig und verdichtete es im Schwarzweiß der Fotos. David Bowie fand übrigens hier die entscheidende Inspiration für sein 1995 erschienenes Album „1. Outside“, das die Besucher an Ort und Stelle mit Blick auf Fotos und Werke dieses Raumes abhören können.

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