Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Švejk auf der von Claudia Vallant gestalteten Bühne © Barbara Palffy

Švejk auf der von Claudia Vallant gestalteten Bühne © Barbara Palffy

MIT HUNDEFLOH UND RAUPE Die Abenteuer des braven Soldaten Švejk

Andrea Köhler, Švejk, Markus-Peter Gössler © Barbara Palffy

Andrea Köhler, Švejk, Markus-Peter Gössler © Barbara Palffy

Durch grotesk düsteres Figurentheater schimmert der subversive Humor des amtlich erklärten Idioten.

Mit dem braven Soldaten Švejk hat Jaroslav Hašek zwei Jahre nach dem Ersten Weltkrieg eine passende Antwort auf den Wahnsinn gegeben, der Tausenden Männern das Leben gekostet hat. Seine Figur ist der Antiheld, der im passivem Widerstand gegen den gegenseitigen Massenmord auf den Schlachtfeldern Europas überlebt hat. Der offiziell als „idiotisch“ erklärte Prager Hundehändler überwindet mit Witz und Schläue die in Wahrheit verrückten Ansinnen von Bürokratie und militärischen Obrigkeiten und hat es geschafft, zu einer durchaus unterhaltsamen Galionsfigur des Pazifismus aufzusteigen.

Švejk mit Hundefloh im Schützengraben © Barbara Palffy

Švejk mit Hundefloh im Schützengraben © Barbara Palffy

Papier fressende Raupe mit Andrea Köhler © Barbara Palffy

Papier fressende Raupe mit Andrea Köhler © Barbara Palffy

Švejk ist nun auch im Schubert Theater anzutreffen. Regisseurin Martina Gredler hat an der mittlerweile bekannt lustigen Gestalt das absurd Abgründige sichtbar gemacht und lässt dem Publikum das Lachen immer wieder im Hals ersticken. Puppenbildnerin Annemarie Arzberger hat den braven Soldaten als kurios hässliches Mischwesen aus Mensch und Hund gestaltet. Seine Gegner, egal ob Stabsarzt oder Oberst, wurden zum Hundefloh und zu einer gefräßigen Raupe degradiert. Sie werden zu unfreiwilligen Assistenten seiner Streiche, mit denen sich Švejk von schrägen Geschäften im Hinterland über einen abenteuerlichen Fußmarsch und eine notgebremste Zugfahrt bis in den Schützengraben und wieder zurück nachhause durchschwindelt.

Der Sound, gestaltet von Raimund Hornich, trägt das seine zur richtiggehend Angst einflößenden Stimmung bei, wenn das Detonieren von Granaten und Donnern der Geschütze mit mächtigen Bässen und Trommelschlägen auf das kriegerische Chaos der von Claudia Vallant gestalteten Bühne übertragen werden. Geführt werden die Figuren behände von Andrea Köhler und Markus-Peter Gössler. Švejk darf selig schlafen, schnarchen und nach dem Erwachen vom Bier naschen, während ihm der sechsbeinige Hund oder doch der Floh, den er sich hinter dem Ohr hervorgeholt hat, freundlich zuwinselt. Die Raupe wiederum frisst virtuos ein Aktenblatt und der vorgesetzte Blutsauger mit dem wissenschaftlichen Namen Ctenocephalides canis lässt schmerzhaft dem Subalternen seine sadistische Autorität spüren. Dabei wird immer wieder Originaltext gesprochen, freilich ins Deutsche übersetzt; als Einladung, nach dieser konzentrierten Stunde doch nach dem Buch zu greifen, um einen der originellsten Romane der Literaturgeschichte in voller Länge zu lesen und eventuell sogar neu zu verstehen.

Švejk, Hundefloh und Andsrea Köhler © Barbara Palffy

Švejk, Hundefloh und Andsrea Köhler © Barbara Palffy

Circus Archetypus, Szenenfoto mit Roxanne Szankovich und dem Clown © Barbara Pálffy

Circus Archetypus, Szenenfoto mit Roxanne Szankovich und Clown © Barbara Pálffy

CIRCUS ARCHETYPUS „Send in the Clowns“ in meine Traurigkeit

Circus Archetypus, der Zauberer © Barbara Pálffy

Circus Archetypus, der Zauberer © Barbara Pálffy

Ein Puppenspiel öffnet die Türen zur Manege des Unterbewussten.

Die junge Frau ist grantig, besser gesagt, missgelaunt. Der Dachboden ist mit Bananenkartons, Koffer und Reisetruhen voll gestellt. Wo sie hingreift, tauchen Luftballons auf, die von ihr brüsk weggestoßen werden – und trotzdem fröhlich um sie herum tanzen. Den jungen Mann, der sie umarmen will, bemerkt sie nicht, denn er ist es, um den sie trauert. Aber er ist da, für sie zwar unsichtbar, aber er geht ihr zur Hand, als sie in einer der Kisten den Clown findet. Der Spaßmacher wird zum Leben erweckt. Er erhält sogar eine Stimme, die der Mann mit dem Kazoo beiträgt. Als die Puppe ihre ersten Schritte probiert, kommen aufmunternde Klänge dazu. Manege frei! Hereinspaziert in den „Circus Archetypus“!

Circus Archetypus, die Seiltänzerin © Barbara Pálffy

Circus Archetypus, die Seiltänzerin © Barbara Pálffy

Circus Archetypus, das eigenwillige Pelztirchen © Barbara Pálffy

Circus Archetypus, das eigenwillige Pelztirchen © Barbara Pálffy

Simon Meusburger, Prinzipal des Schubert Theaters, hat ein neues Puppenspiel kreiert, zu dem er von Carl Gustav Jung, einem Schweizer Psychoanalysten, inspiriert wurde. Nostalgische Circuswelten sind gedacht als eine Gehhilfe in die Tiefen des kollektiven Unterbewusstseins, das sich in Archetypen wie dem Clown, der Seiltänzerin, dem Drachen oder dem Magier manifestiert. Stefanie Elias und André Reitter sind die Puppenspieler, die zum Sound der „Toxic Violin“ von Roxanne Szankovich die von Soffi Povo & Claudia Six geschaffenen Figuren ihre akrobatischen Nummern ausführen lassen. Wie oft der Clown auf die Nase fällt, bis er virtuos drei Bälle jongliert!?

Geschickter ist da die kleine Artistin, die über kreuz und quer gespannte Schnüre balanciert, abgelöst von einem grotesken Totenschädel mit langen Beinen. Eine Attraktion nach der anderen meldet sich, bis sie aus ihrem Verlies, pardon, ihrer Verpackung herausgeholt wird und Kunststücke zeigen darf. Der geschweifte Drache feucht gehörig, um dann in einer brennend beleuchteten Umgebung (Licht und Technik: Meusburger & Maximilian Juch) einen chinesischen Tanz aufzuführen. Was wäre ein Zirkus ohne den Zauberer?! Zu dramatischen Klängen führt der unheimliche Hexer verblüffende Tricks vor, um nach dem Applaus dennoch in seine mit Glanzpapier verkleidete Bleibe gesteckt zu werden. Ein aufgeregt wedelndes pelziges Viecherl weigert sich trotz Leckerlis, eine Dressur auszuführen, um diese frech nachzuholen, wenn sie von der Frau unbeobachtet ist. Mit seinen treuherzigen Augen scheint es seine „Dompteurin“ trösten zu wollen. Das gelingt aber erst wieder dem Clown, der an die Brust gedrückt wird, zu einem berührend leise gesungenen „Send in the Clowns“, in das der Mann behutsam einstimmt, um diesen symbolreichen Abend mit zarten Emotionen ausklingen zu lassen.

Circus Archetypus, der tanzende Drache © Barbara Pálffy

Soffi Povo, André Reitter © Barbara Palffy

Soffi Povo, André Reitter © Barbara Palffy

HAND MADE TYRANT Fetzenschädel und andere Autokraten

Tyrant-Puppe © Julia Braunegger

Tyrant-Puppe © Julia Braunegger

Beschauliche Anleitung zum Umgang mit gesichtslosen Stoffmonstern

An sich scheint es gesellschaftlicher Konsens zu sein, wenn es um die Ablehnung von Tyrannen geht. Umso erstaunlicher ist daher die Tatsache, dass die meisten der Alleinherrscher ihre Tätigkeit mit demokratischer Legitimation antreten durften. Die Demokratie ist in ständiger Gefahr, sich selbst abzuwählen. Aktuelle Beispiele gibt es in Hülle und Fülle, zum Teil in Ländern, in denen es bereits zum guten Ton gehört, dass vor Wahlen die Gegenkandidaten weggesperrt werden, zum anderen in Staaten, die gefährlich nahe an der Schwelle zu einer Autokratie stehen, weil das Volk zur Schafherde mutiert ist und sein Heil in der Führerschaft von Krakeelern und Dummköpfen sucht.

Damit hat auch ein Puppenspiel wie „Hand Made Tyrant“ seine volle Berechtigung. Wenn darin mit Stofffiguren das Übel der Tyrannei angeprangert wird, möchte man sagen: „Eh klar! Wir sind ja eh alle dagegen.“ Aber wer sind dann diejenigen, die zu einem Dauerhoch rechter Parteien in den Umfragen beitragen? Sarah Wissner gibt darauf in kurzen, prägnanten Texten und mit gesichtslosen, aus hellem Textil zusammengenähten Puppen die Antwort: Autokraten sind selbst gemacht! Geführt und damit zum Leben erweckt werden die verdächtig gleich aussehenden Vertreter der Gewaltherrscher von Soffi Povo & André Reitter. Unter ihren Händen werden Kämpfe ausgetragen, Berge von Leichen angehäuft und überhaupt recht feindselig agiert. Mit der Öffnung eines Schädels kommt schließlich die Wahrheit zu Tage. Außer ein paar nichtssagenden Zetteln und federleichtem Füllstoff findet sich darin nichts, keine Spur von Intelligenz, die unter Umständen sowohl den Tyrannen von Gewaltausübung als auch die von ihm Beherrschten von bedingungsloser Unterwerfung abhalten könnte.

Soffi Povo, André Reitter © Barbara Palffy

Soffi Povo, André Reitter © Barbara Palffy

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