Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Menschenfeind Jens Claßen © Anna Stöcher

Menschenfeind Jens Claßen © Anna Stöcher

MENSCHENFEIND Viele gute Gründe, Misanthrop zu sein

Menschenfeind, Ensemble © Anna Stöcher

Menschenfeind, Ensemble © Anna Stöcher

Eine sehr gegenwärtige Hommage an das zeitlose Hadern mit den jeweiligen Umständen

Vom adeligen Gepränge zu Molières Zeiten sind Perücken, Andeutungen von Halskrausen, goldene Hosen und das nackte Gestell eines Reifrockes geblieben. Sie verkleiden Menschen des 21. Jahrhunderts, die im Grunde nichts anderes im Schilde führen wie damals. Wenn sie den Mund aufmachen, kommt ein ähnliches Kauderwelsch zur Sprache, wie es einst am königlichen Hof in Frankreich gepflogen worden sein mag, wenn man reden wollte, ohne etwas verbindlich sagen zu wollen. Erstaunlicherweise wird in gereimten Versen messerscharfe Konversation geführt und damit ein weiteres Versatzstück aus alter Zeit liebevoll gepflegt. Zu verdanken ist diese Meisterleitung am Text dem Schweizer Fabian Alder. Er hat die ans Zynische grenzende Komödie „Der Menschenfeind“ für das TAG (Theater an der Gumpendorfer Straße) überschrieben und damit die Glaubensgrundlage für überzeugte Misanthropen mit Labtop, USB-Stick und Bluetooth technisch aufgerüstet.

Markus Hamele, Georg Schubert © Anna Stöcher

Markus Hamele, Georg Schubert © Anna Stöcher

Mit dem Ensemble dieses Hauses, dem kein Sattel zu schräg ist, um darauf nicht virtuos zu reiten, wird in fünf Viertelstunden dieses Plädoyer für unselbständiges Denken zum wahrhaften Vergnügen und zum heiteren Anstoß, die eigene Stellung in einem dicht verbauten Universum von Denkverboten, Verunglimpfungen von Wörtern und den von Selbstgerechtigkeit getragenen Folgen unkorrekten Handelns zu überdenken. Alceste ist Jens Claßen, der in einer gut diskutierten Partnerschaft mit der Karrierefrau Célimène (Lisa Schrammel) seine Tage genießt. Man versteht sein Hadern mit ihrem Engagement in der GÖP, der Grünen Ökonomischen Partei, die sich seiner Ansicht nach bereits in ihrer Bezeichnung widerspricht. Deren Generalsekretärin ist Ida Golda. Als Frau muss sie auf Power setzen und die Umfragewerte genau im Auge haben. Mit einem Kritiker wie Alceste und einer von ihm möglicherweise beeinflussten Partnerin ist dabei wenig anzufangen. Die beiden für Exekutionen scheinbar willfährigen Herren in ihrem Dunstkreis sind der stolze Oronte (Markus Hamele) und der originelle Clitandre (Georg Schubert). Wenn diese zwei Intriganten auf Rollschuhen einen sensationellen Pas de deux hinlegen, ist Sonderapplaus fällig.

Dagegen verblassen beinahe die schmierige Abwerbung Célimènes durch eine dreckig kichernde Arsinoé (wieder Ida Golda) oder die plumpen Annäherungsversuche von Éliante (Michaela Kaspar) an Alceste. Und doch ist diese Frau am Ende die Gewinnerin, zumindest schaut ´s so aus, wenn außer ihr niemand mehr zum Menschenfeind halten will. Seine Forderungen nach ein bisschen Wahrhaftigkeit sind ja tatsächlich nicht gefragt, viel mehr in einer Gesellschaft, die sich mit grassierender Blödheit innigst angefreundet hat, ein absolutes „No Go!“

Michaela Kaspar, Jens Claßen © Anna Stöcher

Michaela Kaspar, Jens Claßen © Anna Stöcher

Höllenangst, Ensemble © Anna Stöcher

Höllenangst, Ensemble © Anna Stöcher

HÖLLENANGST Analoge Dummheit im digitalen Zeitalter

Andreas Gaida © Anna Stöcher

Andreas Gaida © Anna Stöcher

Erstaunlich, aber Nestroy lässt sich unbeschadet ins Multiversum scannen

Die Geschichte vom leichtgläubigen Wendelin, der vermeintlich mit dem Teufel einen Kontrakt geschlossen hat, ist keineswegs eine Erfindung von Johann Nestroy. Vorher haben bereits die Franzosen über einen gleichermaßen einfältigen Dominique gelacht und die Wiener über „Peregrins Wahn“, einer Übersetzung von Josef Kupelwieser. Überlebt hat auf unseren Bühnen jedoch nur die Posse „Höllenangst“, was wir zweifellos der bekannt pointierten und in ihrer Bösartigkeit unverwechselbaren Sprache Nestroys zu verdanken haben. 173 Jahre nach deren Uraufführung im Carl-Theater und unzählbaren Inszenierungen gibt es nun im TAG eine neue Version des Stoffes mit dem Untertitel „No enlightment please!“ War Mitte des 19. Jahrhunderts der Begriff enlightment auch hierzulande als Aufklärung zumindest in geistvollen Kreisen gängig, so war er dem Volk – nicht zuletzt durch die in die Hose gegangene Revolution 1848 – aufgrund einer dafür wenig offenen Obrigkeit beileibe ein Fremdwort. Was hat nun den Theatermenschen Bernd Liepold-Mosser dazu veranlasst, aus dem nach Schwefel stinkenden Teufel einen Windowsman zu machen? Vielleicht war es der Ingrimm auf die Allmacht des Gottes Google, seiner Heerscharen geflügelter Algorithmen und dem allgegenwärtigen Beelzebub im World Wide Web. Die absolutistischen Allüren eines Kaisers wären gegen deren Machtfülle ein Klacks und könnten heutzutage mit einem Tippen auf die Taste Del vom Screen gelöscht werden.

Andeas Gaida, Lisa Schrammel, Jens Claßen © Anna Stöcher

Andeas Gaida, Lisa Schrammel, Jens Claßen © Anna Stöcher

Petra Strasser, Emanuel Fellmer © Anna Stöcher

Petra Strasser, Emanuel Fellmer © Anna Stöcher

Worum geht es nun in dieser aus TikTok und Instagram gesourcten Version der Höllenangst? Im Prinzip um das Gleiche wie ehedem (Inhalt siehe Wikipedia). Lediglich die Sprache bedient sich der in der Community von Social Media u. ä. Plattformen verwendeten Ausdrücke, die jedoch analog, also mit einem fantasievoll kreativen Hirn, auf Nestroy umgelegt, erstaunlichen Witz zu entzünden vermögen. Freilich braucht es dazu das entsprechende Ensemble, mit dem das TAG allerdings gesegnet ist. Der böse Kapitalist Stromberg (Jens Claßen) will sein Mündel Adele (Lisa Schrammel auch als Zofe Rosalie) um ihr Vermögen bringen, hat aber nicht mit deren heimlich geheirateten Gatten, dem Richter Thurming (Emanuel Fellmer), gerechnet.

Als dieser türmen muss, gerät er in die bescheidene Bleibe des ehemaligen Gefangenenwärters Wendelin (Andreas Gaida) und dessen Vater/Mutter Eva (Petra Strasser). Thurming wird für den infernalischen Windowsman gehalten, tauscht mit dem Einfaltspinsel das Gewand und schließt mit ihm einen Teufelspakt. Gleichzeitig kann dank der Mithilfe von Wendlin der zu Unrecht einsitzende Reichthal (Georg Schubert) aus dem Gefängnis fliehen. Mithilfe eines – heutzutage nahezu undenkbar – handgeschriebenen Briefes verschafft er sich sein Recht, vernichtet Stromberg und macht die Guten glücklich. Oliver Welter strukturiert dazu mit kräftigem E-Gitarren-Sound das Geschehen, um bei den durch und durch tiefsinnigen Couplets im a cappella-Chor mitzusingen. Als Bühnenbild genügen in diesem Multiversum riesige schwarze Bälle, auf, vor und hinter denen diese „digital“ getextete Farce in atemberaubendem Tempo abgezogen wird.

Lisa Schrammel © Anna Stöcher

Lisa Schammel © Anna Stöcher

Iphigenie im TAG, Ensemble © Anna Stöcher

Iphigenie im TAG, Ensemble © Anna Stöcher

IPHIGENIE Priesterin im Puff der Göttin Artemis

Michaela Kaspar (Iphigenie), Emanuel Fellmer (Orest) © Anna Stöcher

Michaela Kaspar (Iphigenie), Emanuel Fellmer (Orest) © Anna Stöcher

Am Schluss steht Herr von Goethe ganz schön blöd da...

„Ich gebe mich frei!“ ist die Kernbotschaft dieser sehr freien Überschreibung von Wolfgang von Goethes Versdrama „Iphigenie auf Tauris“. Die Heldin ist der Tatsache überdrüssig, dass immer irgendwelche Männer über sie und ihr Schicksal bestimmen wollen. Schon im alten Griechenland zog diese Tragödie die hellenischen Völkerschaften in die Amphitheater. Euripides hatte diese Dame ins Land der Taurer entführen lassen, auf die heutige Krim, die seinerzeit von Barbaren bevölkert war. So primitiv können die jedoch nicht gewesen sein, denn sie verehrten die olympische Göttin Artemis. Genau diese holte Iphigenie einst zu sich über das Schwarze Meer als Priesterin, nachdem sich deren Vater bereit erklärt hatte, seine Tochter zugunsten guter Winde gen Troja zu opfern. Über der Familie liegt ein Fluch, beginnend mit Tantalus (Näheres nachzulesen in griechischer Mythologie) über Agamemnon bis zu dessen mörderischer Frau Klytämnestra und Orest, der als Muttermörder von den Erinnyen zur Verzweiflung getrieben wird. Das böse Ende ist abzusehen und wird auch konsequent verwirklicht.

Jon Sass mit der Basstuba © Anna Stöcher

Jon Sass mit der Basstuba © Anna Stöcher

Michaela Kaspar (Iphigenie), Jens Claßen (Thoas) © Anna Stöcher

Michaela Kaspar (Iphigenie), Jens Claßen (Thoas) © Anna Stöcher

Angelika Messner, Librettistin, Dramaturgin und Regisseurin, hat konsequent die feministischen Aspekte dieser traurigen Geschichte herausgearbeitet und mit dem Dichterfürsten gnadenlos abgerechnet. Sie hat ordentlich den Quirl angesetzt, sowohl inhaltlich als auch sprachlich. Für das Ensemble des TAG sind derlei zeitliche und logische Bocksprünge jedoch kein Problem. Der Tempel wird umgehend zum Bordell und Iphigenie (souverän: Michaela Kaspar) die mitfühlende Puffmutter.

Georg Schubert lässt als brutaler Schlägertyp jede klassische Bildung vermissen, wenn er die bemitleidenswerte Hure Arka (Lisa Schrammel) nach Strich und Faden malträtiert. Der taurische König Thoas ist ein eiskalter Unterweltboss – mit Jens Claßen als Idealbesetzung. So ein Alphatyp kann es freilich nicht verkraften, wenn sein Heiratsantrag von Iphigenie ausgeschlagen wird. Also will er sein Mütchen an zwei aufgegriffenen Eindringlingen kühlen und sie von Iphigenie abknallen lassen. Dumm nur, dass es sich dabei um ihren Bruder Orest (Emanuel Fellmer) und dessen Freund Pylades (Andreas Gaida) handelt. Die beiden sind schwul – eh klar, aber immer noch Männer, also behaftet mit dem unverzeihlichen Makel, keine Frau zu sein. Messner kennt daher auch mit ihnen keine Gnade. Abgesehen von Thoas und Arka liegen nach einem gewaltigen Beben und vor dem Schlussapplaus alle mausetot am Boden. Als tröstliches Element bleibt die Musik. Tubavirtuose Jon Sass zeigt, was in seiner Basstuba steckt, von weihevoll schweren Tönen zu Beginn bis zu mehrstimmigem Gezwitscher und leicht dahin tanzenden Melodien.

Michaela Kaspar (Iphigenie) © Anna Stöcher

Michaela Kaspar (Iphigenie) © Anna Stöcher

Michaela Kaspar (Elena) © Anna Stöcher

Michaela Kaspar (Elena) © Anna Stöcher

ONKEL WANJA Steinheben in allgemeiner Sinnlosigkeit

Onkel Wanja, Ensemble © Anna Stöcher

Onkel Wanja, Ensemble © Anna Stöcher

Wer kann schon auf das Leben mit einem Lächeln zurückblicken?

Während Jens Claßen über ein Minimegaphon das Chanson „Tombe La Neige“ in all seiner Melancholie krächzt, tauchen aus wabernden Nebeln schemenhaft Gestalten auf. Die erste klare menschliche Manifestation ist der Arzt Astrov, der mit einer Pantomime atemlose Stille in einem darob verblüfften Publikum auslöst. Die zweite Person ist die alte Njánjá Marina. Sie hat alle Schicksale in diesem Haus miterlebt und verfügt über entsprechende Abgeklärtheit. Aber bereits dieser erste Versuch eines Dialogs erschöpft sich in den drei wesentlichen Themen dieses Dramas: Saufen, das Fehlen der Sinnhaftigkeit des Lebens und eine allgemeine Unfähigkeit zu wahren Emotionen. Anton Tschechow hat diesen Mangel bereits Ende des 19. Jahrhunderts für seine Gesellschaft diagnostiziert und dafür das Stück „Onkel Wanja“ in ein Landgut in den Weiten Russland verlegt. Dort konnte er sich sicher sein, dass keine überraschende Kurzweil die lähmende Langeweile im stets gleichen Einerlei ablaufender Tage unterbricht. Für das TAG hat der geborene Litauer Arturas Valudskis eine Überschreibung geschaffen, haargenau auf das Theater an der Gumpendorfer Straße zugeschnitten. Er hat ihm dabei alles das belassen, was den merkwürdigen Reiz eines solchen Stückes ausmacht. Dazu zählen die Fadesse, wehleidiges Hadern mit allem und jedem und der kategorische Ausschluss jeder Art von Glück.

Georg Schubert (Onkel Wanja), Ida Golda (Sonja) © Anna Stöcher

Georg Schubert (Onkel Wanja), Ida Golda (Sonja) © Anna Stöcher

Jens Claßen (Prof. Serebrajków), Georg Schubert (Onkel Wanja) © Anna Stöcher

Jens Claßen (Professor), Georg Schubert (Onkel Wanja) © Anna Stöcher

Das Ensemble besteht aus fünf Personen, die teils in Doppelrollen die originale Besetzungsliste ausfüllen. Aus der greisen Njánjá wird im Aufstehen von ihrem Sessel die junge, aber (nach eigenem Empfinden) hässliche Sonja (Ida Golda), die zwar als eine der wenigen auf ihr Leben mit einem Lächeln zurückblicken will, jedoch aussichtslos in den jungen Arzt (Andreas Gaida) verliebt ist. Astrov sollte ein Idealist sein, einer der – sehr aktuell – Wälder schützt und Vegetarier ist. Der Wodka ist jedoch stärker und lässt ihn an seinem Beruf verzweifeln.

Einen Strohhalm sieht er in seiner Zuneigung zu Elena (Michaela Kaspar, die auch Wanjas Mutter Maria gibt). Die junge Frau ist jedoch verheiratet. So ganz genau weiß sie nicht, warum sie den bejahrten Professor (Jens Claßen) geehelicht hat; vielleicht weil er ein weiser und bedeutender Mann ist; von Liebe ist jedenfalls keine Rede. Aber sie bleibt ihm treu. Astrov zerbricht an ihr ebenso wie der umtriebige Wanja (Georg Schubert), der partout meint, er könne bei der von ihrem Gatten vernachlässigten Frau landen. Um den Zuschauern Raum zum Nachdenken zu geben, gibt es viele lange ruhige Passagen, in denen sich nichts tut außer einer Untermalung mit a cappella Gesang. Als Auflockerung dienen Gags wie eine Art Silly Walking, die grundkomische Duellszene zwischen dem Professor und Wanja oder die Kraftproben, bei denen sich alle am Lüpfen eines sauschweren Steins versuchen. Um dennoch jeden Zweifel an der Tristesse zu beseitigen, bleibt alles beim Alten, während akustisch immer wieder Schnee fällt, oder wie es im Lied heißt „Tombe La Neige“.

Andreas Gaida (Astrov beim Steinlüpfen) © Anna Stöcher

Andreas Gaida (Astrov beim Steinlüpfen) © Anna Stöcher

Glaube Liebe Hoffnung Ensemble © Anna Stöcher

Glaube Liebe Hoffnung Ensemble © Anna Stöcher

GLAUBE LIEBE HOFFNUNG Ein dramatisches Zeitdokument der 1930er-Jahre

Lisa Schrammel, Ensemble © Anna Stöcher

Lisa Schrammel, Ensemble © Anna Stöcher

DALLI DALLI über´s anatomische Institut in die Verzweiflung

Arbeitslosigkeit ist eine stets aktuelle Geißel der wirtschaftlich zivilisierten Menschheit. Dank eines doch hervorragend funktionierenden Sozialsystems hat der Verlust des Jobs und des damit verbundenen Einkommens seine größten Schrecken verloren. Als Ödön von Horváth Anfang der 1930er-Jahre das erschütternde Drama um die ausweglose Situation einer jungen Frau geschrieben hat, war ein solcher Zustand jedoch die Existenz bedrohend. War jemand ausgesteuert, dann gab es nichts mehr, nichts, außer vielleicht Gelegenheitsarbeiten oder die Prostitution gleichermaßen von Frauen wie Männern bei den wenigen, die von dieser Not nicht betroffen waren. Von ewiger Gültigkeit sollten auch die drei Begriffe Glaube, Liebe und Hoffnung sein, waren damals aber bestenfalls eine Angelegenheit derjenigen, die sich den Luxus von Moral leisten konnten. Elisabeth, so heißt die erbarmungswürdige Kreatur, hat lediglich harmlose Schwindeleien begangen, um den Wandergewerbeschein zu erhalten. Ungeschickt, wie sie ist, fasst sie deswegen eine Geldstrafe aus. Um das Geld dafür aufzutreiben, versucht sie ihren Körper im anatomischen Institut zu verkaufen. Der dort beschäftigte Präparator fasst Zuneigung zu ihr. Er streckt ihr die Summe vor, allerdings unter dem Vorwand, dass sie damit ihre Lizenz als Vertreterin bezahlen wolle. Sie wird wegen Betruges zu zwei Wochen Arrest verurteilt. Durch diese Vorstrafe hat auch die Liebe zwischen ihr und dem jungen Polizisten Alfons keine Chance. Es bleibt nur der Gang ins Wasser...

Jens Claßen als Showmaster © Anna Stöcher

Jens Claßen als Showmaster © Anna Stöcher

Andreas Gaida (Schupo), Lisa Schrammel (Elisabeth) © Anna Stöcher

Andreas Gaida (Alfons), Lisa Schrammel (Elisabeth) © Anna Stöcher

Horváth und sein Koautor Lukas Kristl nennen das Stück einen kleinen Totentanz in 5 Bildern. Als solcher wird er mit dem Ensemble des TAG-Theaters zum bitter komischen Ballett in der kompromisslosen Choreographie von Georg Schmiedleitner. Rahmenhandlung ist die TV-Show DALLI DALLI mit Jens Claßen als stets lustigen und zynisch aufmunternden Moderator und Gesangseinlagen in Form von deutschen Schnulzen. Ein Versatzstück jüngster Fernsehunterhaltung gibt es mit „Die Höhle des Löwen“, als die Investoren Michaela Casper, Andreas Gaida, Petra Strasser und Georg Schubert mit der ratlosen Elisabeth ihre reinste Hetz haben. In dunkle Mäntel gehüllt treten dieselben als Kriminaler auf. In den übrigen Rollen sind Casper die knallharte Chefin für den Versand von Mieder und Reizwäsche, Schubert der Präparator und Petra Strasser die wohlmeinende Frau Amtsgerichtsrat. Der junge Schupo Alfons (Andreas Gaida) hätte gute Lust, das sympathische Mädel Elisabeth zu heiraten, stünden nicht die bekannten Gründe dagegen. Eine großartige Lisa Schrammel konfrontiert letztlich jedoch die ganze Gesellschaft mit deren Verlogenheit und Lieblosigkeit, wenn die von ihr mit mächtigem Einsatz verkörperte Elisabeth den einzigen Ausweg in einer Flucht aus ihrem Leben sieht.

Ödipus, Ensemble © Anna Stöcher

Ödipus, Ensemble © Anna Stöcher

ÖDIPUS Endlich einmal lachen in der ganzen Misere

Stefan Lasko, Michaela Kaspar © Anna Stöcher

Stefan Lasko, Michaela Kaspar © Anna Stöcher

Der Beweis, dass man sich über Orakel, Seher & Co köstlich lustig machen kann

Etliche Jahrhunderte nach Sophokles haben sich nun zwei Theatermenschen des zutiefst tragischen Stoffes um den vom Schicksal geschlagenen König Ödipus angenommen. Kaja Dymnicki und Alexander Pschill haben haarscharf erkannt, dass all das scheinbar Unausweichliche nur deswegen passiert ist, weil sämtliche Beteiligte in einer Form des Kadavergehorsams die an sich schrecklichen Aussichten ernst genommen und ihr gesamtes Handeln darauf ausgerichtet haben. Die daraus entstandene Tragödie wird umgehend zur Komödie, wenn man sich von dieser Zukunftsangst löst und den ganzen Krempel von Weissagungen einfach im großen Mistkübel mit der Aufschrift „Das Unnötigste im Leben“ entsorgt. Wenn die beiden Autoren dazu noch über kabarettistischen Wortwitz verfügen, dann wird daraus eine flotte „lachhafte“ Posse, die im Verlauf von gut zwei Stunden auch dem ernsthaftesten Altphilologen zumindest ein Schmunzeln entlockt.

Jens Claßen, Georg Schubert © Anna Stöcher

Jens Claßen, Georg Schubert © Anna Stöcher

Stefan Lasko, Florian Carove © Anna Stöcher

Stefan Lasko, Florian Carove © Anna Stöcher

Mit dem Ensemble des TAG (Theater an der Gumpendorfer Straße) ist es das geringste Problem, eine stattliche Reihe von Rollen und sogar den Chor des antiken Theaters zu bestreiten. Die Damen und Herren sind es gewöhnt, sich in Sekundenschnelle in eine andere Person zu verwandeln und das Publikum mit dieser nahezu affenartigen Behändigkeit zu verblüffen. So gelingt es auch im Falle von „Ödipus“, die illustre Gästeschar einer Party mit einem Quartett zu bestreiten. Florian Carove und Julia Edtmeier sind in der ersten Hälfte das lästige Ratepaar Janus und Isabella Sphinkt, um später in seinem Fall als blinder Seher Theresias mit enormem Einsatz seiner Komik einen nie geschehenen Mord aufzuklären und sie als pubertierende Tochter Antigone mit dem peinlichen Verhalten ihrer angeblichen Eltern zu hadern. Dazu muss gesagt werden, dass sich das Ganze in der Gegenwart abspielt. König Laios (Georg Schubert) ist ein ganz normaler Politiker – äh – Herrscher, der aus Korruption, subtiler Brutalität und entsprechendem Koks-Konsum kein Hehl macht.  Mit seiner Gattin Iokaste (Michaela Kaspar) veranstaltet er im Beisein seines coolen Schwagers Kreon (Raphael Nicholas) ca. 18 Jahre nach Weglegung des Kindes eine Fete.

Raphael Nicholas  © Anna Stöcher

Raphael Nicholas © Anna Stöcher

Der Unheil verkündende Chor © Anna Stöcher

Der Unheil verkündende Chor © Anna Stöcher

Unter den Gästen befindet sich auch ein Ehepaar namens Mayer (Jens Claßen als Polybos, Lisa Schrammel als Merope), das irrtümlich eingeladen wurde, da eigentlich Korruptions-Staatsanwalt Meyer gemeint war. Doch die beiden sind zufällig die guten Leutchen, die das auf einer Parkbank ausgesetzte Baby einst bei sich aufgenommen und als ihren Sohn aufgezogen haben. Während sich die Tische unter Platten mit Fingerfood und Bowle biegen, haben die Zuschauer Gelegenheit, sich unter ihren FFP2-Masken vor Lachen zu krümmen. Einer der Gründe dafür ist Ödipus, ein schlaksiger junger Mann, der mit Begeisterung Rätsel löst und damit die Begehrlichkeit der ihres Gatten längst überdrüssigen Iokaste erweckt. Stefan Lasko spielt erfrischend natürlich den jugendlichen Neurotiker, der ein Abo beim Orakel hat und wenn er nicht mehr weiter weiß, auch das Publikum befragt. Nachdem aufgrund eines Stromausfalls und einer irrtümlich abgefeuerten Kugel Laios leblos am Boden liegt und nach dessen Entsorgung Iokaste den Burschen ehelicht, scheint sich die düstere Prophezeiung erfüllt zu haben. Aber was ist der Schein? Er kann trügen, und wie! Sonst wäre es ja keine lustige Tragödie.

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