Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


ehemaliges Waisenhaus als Kulisse der Drei Musketiere © Bettina Frenzel

DIE DREI MUSKETIERE retten in Mödling die Ehre der Königin

Regis Mainka, Johannes Sautner, Angelo Konzett, Tony Matzl © Bettina Frenzel

Es wird gefochten, geliebt, betrogen und gestorben – Theaterleidenschaft ohne Kompromisse

Das ehemalige Waisenhaus in Mödling besticht Architekturfans mit seiner nahezu ungestörten historistischen Fassade. Gebaut wurde es zwischen 1886 und 1889, strahlt aber bis heute den Charme eines spätgotischen Palastes aus. Bruno Max, Prinzipal des Theaters zum Fürchten, konnte und wollte einen solchen Schauplatz nicht unbespielt lassen. Das ideale Thema war bald gefunden. Die Vorlage dazu lieferte Alexandre Dumas mit seinen Romanen über d´Artagnan und seine drei Freunde Athos, Porthos und Aramis. Den Lesern ist das Quartett unter dem Titel „Die drei Musketiere“ geläufig. Vor allem die männlichen Zuschauer erinnern sich gerne, deren Heldentaten in der Jugend mit roten Ohren verfolgt zu haben und zu Duellen mit Holzprügeln anstelle der Degen verleitet worden zu sein. Wenngleich es unzählige Bühnen- Film- und Musicalversionen davon gibt, hat Bruno Max dennoch auf sein eigenes untrügliches Gefühl für theatralische Wirkung gesetzt und diesem Platz eine Fassung angeschneidert, die wie ein Maßanzug vom bestem Schneidermeister sitzt.

Christina Saginth, Bernie Feit © Bettina Frenzel

Christina Saginth, Bernie Feit © Bettina Frenzel

Statist, Eszter Hollósi, Christoph Prückner © Battina Frenzel

Statist, Eszter Hollósi, Christoph Prückner © Battina Frenzel

Freilich braucht es für die vielen Rollen auch das entsprechende Ensemble, dessen Mitglieder wandelbar genug sind, in einer Person diverseste Gestalten zu verkörpern. Wer die Aufführungen im Stadttheater Mödling und in der Scala in Wien kennt, weiß, dass daran nicht der geringste Mangel herrscht. Die in diesen Häusern engagierten Schauspieler beherrschen ihr Handwerk durchwegs famos und lassen vor allem die Freude am Spielen in ihren Auftritten durchblitzen. Damit ist dieses 1. Schöffelstadtspektakel, wie das Open Air am Hyrtlplatz gleich neben dem Bahnhof um Publikum wirbt, zu einem weiteren Erfolgsevent im Niederösterreichischen Theatersommer geworden.

 

Mit schwarzen Brettern, geschicktem Lichteinsatz und Requisiten, die durchaus ein Lächeln verdient haben, hat Marcus Ganser die spätmittelalterlich anmutende Front dieses Backsteinbaus in die Gascogne, in das Paris des 17. Jahrhunderts, in ein Kloster, in den Louvre und allein durch Umstecken der Fahnen in ein Londoner Castle verwandelt. Die Geschichte beginnt mit dem Tod des zum großen Feldherren avancierten d´Artagnan, um ihn in der nächsten Szene von Kilian Winkler als Halbwüchsigem mit seinem Vater (Hermann J. Kogler) das Fechten üben zu lassen.

Randolf Destaller, Hermann J. Kogler © Bettina Frenzel

Randolf Destaller, Hermann J. Kogler © Bettina Frenzel

Robert Stuc, Eszter Hollósi, Johannes Sautner © Bettina Frenzel

Robert Stuc, Eszter Hollósi, Johannes Sautner © Bettina Frenzel

Aus dem Vater wird im Verlauf der Handlung der wesentlich weniger sympathische Kardinal Richelieu, der anstelle des schwachen Königs Ludwig XIII. (Randolf Destaller) die Regierungsgeschäfte führt. Seine hemmungslosen Intrigen richten sich unter anderem gegen Königin Anna (Teresa Renner, die auch die Mutter des Helden gibt), der ein Verhältnis mit dem englischen Herzog Buckingham nachgesagt wird. Wenngleich d´Artagnan ob des Busens und der weiblichen Stimme dieses Earls verwirrt ist, verrät ihm Linda Holly nicht dessen Hintergrund. Man findet ihn bald selbst heraus, denn in Nonnenverkleidung gibt sie auch die strenge Mutter Oberin des Karmelitinnenklosters. In mehreren Rollen eingesetzt sind auch Robert Stuc (Adjutant der Garde, Henker der Gascogne) und Bernie Feit. Sein Treville, Kommandant der Musketiere, altert gekonnt über Jahrzehnte und rührt als grob gefolterter Quartiergeber Bonacieux und vom keuschen Weg abgekommener Puritaner die Herzen des Publikums. Christina Saginth ist als Alte kaum wiederzuerkennen, wenn sie zuvor als flotte Journalistin von France Soir ihre Interviews absolviert oder als bestechlicher Hofjuwelier die fehlenden Diamanten im verhängnisvollen Collier ersetzt. Glenna Weber und Eszter Hollósi sind mit nur einer Aufgabe ausgelastet. Die eine, Constance Bonacieux, ist, wenngleich verheiratet, in d´Artagnan verliebt und dennoch reinen Herzens.

Angelo Konzett, Hermann J. Kogler © Bettina Freznel

Angelo Konzett, Hermann J. Kogler © Bettina Freznel

REgis Mainka, Angelo Konzett, Johannes Sautner, Tony Matzl, Glenna Weber © Bettina Frenzel

Regis Mainka, Angelo Konzett, Johannes Sautner, Tony Matzl, Glenna Weber © Bettina Frenzel

Hollósi hingegen ist die Böse schlechthin. Als Anne wird ihr nach einem Diebstahl die Lilie in den Oberarm gebrannt. In ihrem darauf folgenden Rachefeldzug vernichtet sie die Existenz eines Adeligen, mutiert zu Milady De Winter und wird die mordlustige Gehilfin Richelieus, bis sie endlich ihren Kopf verliert, als die drei Musketiere plus d´Artagnan das Todesurteil über sie verhängen. Athos (Regis Mainka), Porthos (Johannes Sautner) und Aramis (Tony Matzl) sind wahrhaftig streitlustige Gesellen, die mit ihren Degen stets gegen Garde des Kardinals bestehen. Als die Übermacht beinahe zu groß wird, springt ihnen der heiße Jungspund d´Artagnan (Angelo Konzett) zur Seite. Den entscheidenden Sieg erringt dieser jedoch über Graf Rochefort (webt düster durch das Geschehen: Christoph Prückner), wenn er ihm mit einer überraschenden Finte die Klinge in den Rücken stoßen kann. Dank Fight Arranger Giovanni Lottspeich beherrschen sowohl die Musketiere als auch die Gardisten das Fechten so perfekt, dass die Vorstellungen wohl ohne gröbere Hieb- und Stichwunden bis 1. August 2021 (sofern es das Wetter zulässt) durchgespielt werden können.

Marc Illich ls wissenschaftlicher Gläubiger © Bettina Frenzel

UTOPIA Das Schaudern vor der schönen neuen Welt

Androiden LINDA Linda Holly, Antonia Schiller, Victoria Beck mit Techniker © Bettina Frenzel

Rechtzeitig bedrückende Aussichten, um die Hoffnung auf eine bessere Zukunft nicht zu verlieren

Bernie Feit ist smarter Zukunftsforscher, der auf die Regnose setzt, ein Verfahren, das erlaubt, im Gegensatz zur Prognose eine gegenwärtige Situation aus der näheren Zukunft im Rückblick zu beurteilen. Die mittels dieser Wissenschaft gewonnenen Ergebnisse, betitelt als „Schöne Aussichten für 2021“, stehen allerdings in krassem Gegensatz zur Wirklichkeit, die Lena J. Hödl und Valentin Ivanov als Überlebende der Corona-Pandemie vertreten. Bekleidet mit Fetzen, unterwegs in einer zerstörten Umwelt, fristen sie das Dasein einer Art von Höhlenmenschen, die sich gierig auf das ihnen zugeworfene Klopapier stürzen. Hoffentlich haben beide Seiten unrecht, genauso wie der telegene Wahrsager Hanussen II (Wolfgang Lesky), der gottlob keine Ahnung hatte, was die nächsten Jahre bringen werden. In „Was wird die Zukunft bringen“ wird er von der Moderatorin Monica A. Cammerlander befragt, redet ungeheuren Blödsinn von fliegenden Autos und ähnlich angeblich Vorhersehbaren. Gestoppt wird er just in dem Moment, als sich reale Visionen zum englischen Königshaus bei ihm einstellen.

Tanzende in Kein Koma ohne Soma © Bettina Frenzel

Bruno Max, Prinzipal des Theaters zum Fürchten, hat dazu auf Zitate aus Hanussens Buch „Mach mehr aus deinem Leben“ von 1973 zurückgegriffen und nicht nur damit, sondern mit einer ganzen Reihe von Szenen die Möglichkeit, einen Blick in eine mehr als zweifelhafte Zukunft zu werfen, gnadenlos relativiert. Dass er sich dabei selbst nicht ganz ernst nimmt, beweist er als Science-Fiction-Schriftsteller Isaac Asimov an der „Bar der überholten Utopisten“. Er diskutiert mit Thomas Morus (Mario Schober), Jules Verne (Klaus Schwarz), W. I. Lenin (Tom Jost) und George Orwell (Bernhardt Jammernegg). Die einzige Frau in diesem Bunde ist Berta von Suttner (Flora Punzer), die allerdings weniger trinkfest als ihre Kollegen ist und wortlos vom Barhocker kippt.

Earthboi Robert Elsinger und Mutter Erde Christina Saginth © Bettina Frenzel

Man sollte sich trotz aller düsteren Vorhersagen in den Bunker bei Mödling trauen und mutig durch „UTOPIA. Schöne neue Welt(en)“ wandern. Dass alles mit rechten Dingen zugeht, dafür sorgen drei bildhübsche Androiden (Linda Holly, Antonia Schiller, Victoria Beck), die allesamt auf den Namen LINDA hören, das richtige Anlegen von MNS erklären und bei jedem Besucher Fieber messen. Entsprechend ausgerüstet kann man dem großen Aldous Huxley (Raimund Brandner) gegenübertreten.

Er referiert über seinen Roman „Brave New World“ und leitet damit zur „Vorbereitung für Alphastudenten“ über. Gespenstisch reihen sich „In der zentralen Brut- und Konditionierungsanstalt“ als Klone gezüchtete Föten in Glaskolben aneinander. Aus dem Film „Soylent Green“ stammen die Vorbilder für Christoph Prückner, Simon Brader und Leon Lembert, die sich als Bewohner eines armseligen Lochs über ein echtes Stück Rindfleisch freuen, bevor man geführt von Christina Saginth als Mutter Erde dem Earthboi Robert Elsinger in einen unterirdisch üppigen Dschungel folgt.

Die durchwegs geniale Raumgestaltung stammt übrigens von Marcus Ganser, der darin von gleißenden Höhen ferner Zukunft in die Tiefen menschlicher Unzulänglichkeit führt. Uncle Walt (Hermann J. Kogler) hustet sich zu Tode, um Mickey (Simon Schober) statt seiner idealen „Disney-World“ eine Diktatur aufziehen zu lassen, die Kosmonautin Bettina Soriat rezitiert bizarre Texte von Nikolai Fjodorowitsch und die auf alle Art fiktiver Katastrophen Vorbereitete (Sybille Kos) malträtiert den Unvorbereiteten (Florian Lebek) mit einer elektrischen Stichsäge. Dass nur Gott die Zukunft kennt, will der wissenschaftliche Gläubige Marc Illich anhand einer übersichtlichen Zeichnung nachweisen, bevor Agent Wolfgang Rupert und Professor Tyrell (Jörg Stelling) mittels der „Voightkamp-Reaktion“ aus „Blade Runner“ Lisa-Marie Bachlechner als Androiden entlarven. Sollten wir je eine solche Zukunft erleben müssen, dann gibt es hoffentlich „Soma“, das glücklich machende Pulverl, das auch eine „Abschaltung“ wie in Arthur C. Clarks „Odyssee im Weltraum“ überstehen lässt.

Minnie Bernadette Mold, Mickey Simon Schober, Uncle Walt Hermann J. Kogler © Bettina Frenzel
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