Kultur und Weindas beschauliche MagazinFigaro lässt sich scheiden, Ensemble © Bettina Frenzel FIGARO LÄSST SICH SCHEIDEN aus Redlichkeit oder vom Verstand her?
Also haben sie doch geheiratet, der Kammerdiener und seine Susanne. In Le nozze di Figaro bleibt nämlich offen, wie dieser tolle Tag endet. Ödön von Horvath war 1937 bereits aus dem Tausendjährigen Reich ausgewiesen, als die Forstsetzung der von Mozart vertonten „Hochzeit“ mit dem Titel „Figaro lässt sich scheiden“ in Prag am 2. April 1937 uraufgeführt wurde. Inspiration für ihn waren das nationalsozialistische Regime, vor allem aber die proletarischen Vorkommnisse im neuen sozialistischen Paradies im Osten Europas, den Grafen Almaviva samt Gattin in den Nachbarstaat emigrieren zu lassen. Weiteres Bleiben hätte den sicheren Tod des Aristokraten bedeutet. Angeführt wird die Flucht vom stets raffinierten Figaro, den Susanne dazu ermuntert hat. Damit war dieser Stoff in die damalige Gegenwart geholt worden, mit mehr oder weniger freundlichen Grenzbeamten, mit Schmuckhändlern, die Schandpreise für wertvolle Ketten und Diademe bezahlten, und für Glücksritter wie den Belami Cherubin, der im neuen Zuhause ein gut besuchtes Nachtcafé betreibt. Das alles könnte auch für unsere Tage aktuell sein, denn Flüchtlinge sind nicht unbekannt, wäre da nicht das Ende. Horváth lässt die Geschiedenen wieder zueinander finden, den Grafen in sein Schloss zurückkehren und den Hass der von der Revolution nach oben gespülten Mächtigen an Figaro und den seinen abgleiten. Es folgt eine gewagte Hypothese: Hätte ihn am 1. Juni 1938 in Paris nicht der Tod ereilt, möglicherweise hätte der den Ausgang dieser Komödie irgendwann in Tragische umgeschrieben.
Wenn dieses Stück in der SCALA Wien am Programm steht, ist eine werkgetreue Aufführung in optimaler Besetzung zu erwarten. Regisseur Rüdiger Hentzschel hat für die vielen Schauplatzwechsel den idealen Raum erdacht, mit silbergrauen Wänden, die an jeder Stelle geöffnet werden können und die Bühne mit ein paar Requisiten in den Friseursalon eines Provinznests, in die billige Absteige des Grafenpaares oder in den Park des Schlosses verwandeln. Simon Brader ist ein überzeugender Figaro, der in jeder Lebenslage die Fäden zu ziehen versteht, außer in seiner Ehe mit Susanne (Lisa-Carolin Nemec), die sich sehnlichst ein Kind von ihm wünscht und es nicht bekommt.
v.l.n.r.: Anna Sagaischek, Christoph Prückner, Bernhardt Jammernegg, Randolf Destaller, Lisa-Marie Bachlechner, Bettina Soriat © Bettina Frenzel DIE KUNST DER KOMÖDIE Warnung vor arroganter Überheblichkeit
Für den Prinzipal des Theaters zum Fürchten ist die Rolle des Oreste Campese mehr als eine Gelegenheit, als Direktor selbst mit dem eigenen Ensemble auf der Bühne zu stehen. Er verkörpert vielmehr sich selbst und hat dabei sichtlich noch eine diebische Freude, wenn er als Leiter einer kleinen Theatertruppe die Macht des Komödianten gegenüber einer ihn geringschätzenden Gesellschaft im wahrsten Winn des Wortes ausspielen kann. Sein Opfer ist in diesem Fall Bettina Soriat, p. T. Eccellenza De Caro und neue Präfektin einer italienischen Kleinstadt. Von ihr begehrt er nicht mehr als ihre prominente Anwesenheit bei einer Vorstellung im Notquartier, nachdem die eigene Bühnenbaracke, abgesehen vom Schminkkoffer, abgebrannt ist – in real lodernden Flammen und nicht wie man denken könnte, aufgrund fehlender Einnahmen. Bis zu diesem Punkt hat sie ihn amüsant gefunden, aber dieses Ansinnen geht ihr zu weit. Campese deutet Rache an. Schauspieler können sich verwandeln, in schön und schiach, dick und dünn, in alt und jung und wenn es sein muss, auch in Bucklige. Eine Liste von Bittstellern fällt in seine Hände und schon geht es los mit dem Raten, wer echt ist oder nur verkleidet.
Robert Notsch hat sich mit der Gestaltung des Raumes, besser, mit einem kunstvoll ausgestatteten Büro in einem Palazzo mit einer Piazza hinter zwei hohen Balkontüren selbst übertroffen. Dort erscheinen der Reihe nach Honoratioren und einfache Bürger, um der Präfektin ihre Anliegen vorzubringen, oder sind es doch die Komödianten? Quinto Bassetti (Jörg Stelling) ist Amtsarzt, der an Mangel an Anerkennung leidet. Er outriert dermaßen, dass die Schmiere aus seinem Monolog nur so quillt. De Caro und ihr Sekretär Giacomo Franci (beflissen subaltern: Randolf Destaller) sind überzeugt, dieser Mann ist ein Fake! Ihm folgt Padre Salvati, der Pfarrer von der Kirche vis-à-vis. In den Taschen seiner Soutane verbergen sich unzählige Tüten mit Nüssen, deren Schalen den Boden verdrecken. Was Franz Weichenberger zu Protokoll geben möchte, ist derart unwahrscheinlich – eine Sünderin will auf dem Altar ihr Kind zur Welt bringen –, dass auch bei ihm das Urteil auf „falsch“ lautet. Inzwischen hat sich der Apotheker Gerolamo Pica (Bernhard Jammernegg) mit Franci in ein Nebenzimmer zurückgezogen, um dort um die Nachreichung der amtlichen Befugnis einzukommen. Unter dem Schreibtisch hat sich die Lehrerin Lucia Petrella (Lisa-Marie Bachlechner) versteckt.
Statistik |