Kultur und Weindas beschauliche MagazinWiener Staatsballett, Ensemble, Chor © Barbara Pálffy/Volksoper Wien ORPHEUS IN DER UNTERWELT Launiger Unterricht in antiker Mytholgie
Diese Inszenierung muss man sich mehrmals anschauen und nicht einmal dann darf man sich sicher sein, alle die lustigen Einfälle von Spymonkey wirklich mitbekommen zu haben. Hinter diesem Kollektiv verbirgt sich ein englisches Comedy-Ensemble, das als Wahlverwandtschaft nicht zufällig Monty Python angibt und sich mit ähnlich schräger Auffassung an der von Haus aus unernsten Opéra bouffe von Jacques Offenbach abarbeitet. Damit tobt in der Volksoper unter dem Titel „Orpheus in der Unterwelt“ eine respektlose Mischung aus britischem Humor, französischer Sinneslust und frischfröhlicher Verarschung antiker Götter. Ein ernsthaft lustvoll aufspielendes Ensemble und das seriös die Partitur umsetzende Orchester unter der Leitung von Alexander Joel bewahren den Spaß vor einem Umkippen in hemmungslosen Klamauk. Man darf also ungeniert lachen, wenn der schreckliche Zerberus auf der Bühne ein mordsdrum Häufchen hinterlässt, das den per Metamorphose in eine Fliege verwandelten Jupiter (Marco Di Sapia hat das Verhalten dieses Insekts genau studiert) ständig vom Ziel seiner erotischen Wünsche ablenkt. Dieser an der Grenze zum Unappetitlichen schrammende Gag steht programmatisch für Einfälle wie die herrlich komische Schur der Ballett tanzenden Schafe, einem aufdringlichen Jacques Offenbach (Marcel Mohab), der sich in der Staatsoper wähnt und ein Denkmal in Wien fordert, sowie einer vielbeinig schwebenden Öffentlichen Meinung (Ruth Brauer-Kvam), die an der ganzen Misere um Orpheus letztlich die Schuld trägt.
Hedwig Ritter beeindruckt als die vom korpulenten Pluto (Timothy Fallon) ins Totenreich entführte Eurydike. Es ist ein Vergnügen, ihr und dem ungeliebten Ehemann Orpheus (Daniel Kluge) beim Streiten zuzuhören; einfach zwei beeindruckende Stimmen, die ihre Schmutzwäsche vor sehr menschlich agierenden Gottheiten waschen. Göttermutter Juno (Ursula Pfitzner) webt mit einem Haarturm wie Marge Simpson durch den Olymp, um sich vor Diana (Jaye Simmons), Minerva (Susanne Gschwendtner) und Venus (Katia Ledoux) als die Betrogene zu blamieren. Den Herren Aaron Pendleton als Mars, Jakob Semotan als Merkur und dem in seiner Erinnerung an die Zeit als Prinz von Böotien (im Original: Arkadien) gestutzten Sebastian Matt als Hans Styx scheinen derlei Querelen egal zu sein. Gäbe es Juliette Khalil nicht, man müsste sie erfinden. Ihr Cupido flattert frech und fein singend durch die Reihen von Unsterblichen, die nichts anderes im Sinn haben, als endlich ein anderes Menü als Nektar und Ambrosia vorgesetzt zu bekommen. Wer sich nach einer derart launigen Lehrstunde nichts mit der antiken Sagenwelt anfangen kann, der hat das Programmheft nicht gelesen. Dort finden sich bedeutungsvolle Sätze wie Jupiters Ehrenrettung der Mythologie: „Wahren wir den Schein. Das ist die Hauptsache!“ Szymon Komasa (Schaunard), Giorgio Berrugi (Rodolfo), Anett Fritsch (Mimì) © Barbara Pálffy/Volksoper Wien LA BOHÈME Puccinis schmerzliche süße Love Story
Puccini war, wie er selbst sagt, vom ersten Moment an von diesem Stoff begeistert und man hört es in der wundervoll durchkomponierten Musik, in die er traumhafte Arien eingebettet hat, die nach wie vor zum unverzichtbaren Repertoire großer Soprane und Tenöre zählen. „La Bohème“ erzählt im Stil des Versimo die bittersüße Liebesgeschichte zwischen zwei armen Teufeln, die an ihrem Leben hängen und dennoch vom Tod auseinander gerissen werden. Millionen von Opernbesuchern haben darob Tränen vergossen, auch wenn sie den italienischen Text nicht verstanden haben oder nur per Einblendung mitlesen konnten, wie derzeit in der Volksoper. Dort setzt Direktorin Lotte de Beer auf die Originalsprache und suchte nach einer werktreuen Umsetzung, „die uns in unserer gegenwärtigen Zeit anspricht.“ Fündig wurde sie in der legendären Inszenierung von Harry Kupfer aus der Mitte der 1980er-Jahre, die in einer Neueinstudierung am 23. Oktober 2022 mit Omer Meir Wellber am Pult erfolgreich über die Bühne ging.
Vor einem beängstigend schwarzen Hintergrund verjuxen der Maler Marcello (Andrei Bondarenko), Philosoph Colline (Alexander Fritze) und Musiker Schaunard (Szymon Komasa) das bisschen Geld, das ihnen zugeflogen ist. Rodolfo (Giogrio Berrugi), der vierte in diesem zwar kreativen, aber liederlichen Bund bleibt in der Mansarde und lernt die Nachbarin kennen. Vor ihm steht, um Feuer für ihre Kerze bittend, Mimi (Anett Fritsch). Die beiden erzählen in emotionalen Arien ihr Leben, um im Duett „O soave fanciulla“(O süßes Mädchen) endgültig zueinander zu finden. Musetta (Alexandra Flood), Marcellos ehemalige Geliebte, hat sich mittlerweile anderweitig getröstet, überlässt aber ihrem neuen Galan, dem reichen Alcindoro (Morten Frank Larsen) nichts als das Begleichen der Rechung im Café zukommen. Sie verschwindet mit dem Maler. Im dritten Bild wird aus der Allotria Tragödie. Mimi leidet unter Schwindsucht, Rodolfo kann jedoch nicht helfen und würde für einen reichen Verehrer sogar auf sie verzichten. Wer bei so viel Selbstlosigkeit nicht gerührt ist, den lässt wohl auch ihre finale Liebeserklärung „Sono andati? Fingevo di dormire“ (Sie gingen? Ich tat so, als würde ich schlafen) und die kurze Freude über den wärmenden Muff kalt. Die atemlose Stille bei diesem herrlichen Schwanengesang und der tosende Applaus nach dem letzten Ton der Oper haben bewiesen, dass in Wien noch Herz und Schmerz Konjunktur haben. Olesya Golovneva (Jolanthe), Ensemble © Barbara Pálffy/Volksoper Wien JOLANTHE & DER NUSSKNACKER Herbsüße Melange aus Oper und Ballett
Die einaktige Oper „Jolanthe“ ist eine Familienproduktion aus dem Hause Tschaikowski. Modest hat das Libretto verfasst, sein Bruder Iljitsch die Musik dazu komponiert. Vielleicht war es dieser Umstand, der Lotte de Beer, Direktorin der Volksoper, zu ihrer ersten Opernregie inspiriert hat, als Kombination aus Musikdrama und Ballett. Die Handlung ist märchenhaft genug, um sie einem Kind zumuten zu können. Prinzessin Jolanthe ist blind geboren. König René will ihr die Enttäuschung ersparen, sich behindert zu fühlen und schottet sie von der Umwelt hermetisch ab. Sie soll gar nicht wissen, dass man auch sehen kann. Brüsk lehnt er das Angebot des Arztes Ibn Hakia ab, in seiner Tochter den Wunsch zum Sehen zu wecken. Als jedoch der Ritter Vaudemont auftaucht, sich in die junge Frau verliebt und Gegenliebe erfährt, kann der Arzt zur Heilung schreiten. Das Wunder geschieht, sie sieht das Licht und alles ist gut. Da das Ganze aber nicht abendfüllend ist, wurden Teile aus „Der Nussknacker“ eingefügt, die Dirigent Omer Meir Wellber mit raffinierten Arrangements und spannenden eigenen Ideen mit der Opernmusik verquickt hat. In der Choreographie von Andrey Kaydanovskiy treten mit dem Wiener Staatsballett tanzende Blumen, Torten, Zinnsoldaten oder eine Horde Mäuse quasi in der Phantasie der Prinzessin auf.
Gedacht ist diese Produktion für „die ganze Familie“, also vom Opa bis zur Enkelin, die nicht früh genug mit diesem Format vertraut gemacht werden kann. De Beer ist jedoch eine strenge Lehrerin, die den Zugang für junge Zuschauer nicht so einfach gestaltet. Eine dunkle, leere Bühne und Alltagskleidung als Kostüme sind eine Herausforderung, schon in frühen Jahren die eigene Vorstellungskraft zu bemühen und mit herben Inszenierungen fertig zu werden.
Ensemble, Martin Enenkel, Wolfgang Gratschmaier, Marco Di Sapia, Annette Dasch, Oliver Liebl © Barbara Pálffy/Volksoper Wien DIE DUBARRY Operette als königliche Late-Night-Show
Carl Millöcker (1842-1899) zählt mit Franz von Suppè und Johann Strauß zum Dreigestirn der goldenen Wiener Operettenära. Dennoch dürfte dem Publikum Anfang der 1930er-Jahre seine Musik zur „Gräfin Dubarry“ nach einem Libretto von F. Zell (Camillo Walzel) und Richard Genée nicht mehr gereicht haben. Also hat sich der preußische Komponist Theo Mackeben des Werks angenommen, es mit eigenen, dem damaligen Zeitgeist eher entsprechenden Nummern erweitert und 1931 eine Neufassung unter dem Titel „Die Dubarry“ zur Uraufführung gebracht. Entstanden war ein Konglomerat aus norddeutscher Unterhaltungsmusik mit Wiener Charme in großen Teilen der Partitur, das sich erstaunlicherweise bis heute gehalten hat und nicht zuletzt von Lotte de Beer für bedeutend genug empfunden wurde, mit der Eröffnungspremiere ihrer Direktion an der Volksoper Wien als Programmzettel für Kommendes abgegeben zu werden.
Die Schnittlinie zwischen Deutsch und Wienerisch wurde auch bei dieser Produktion konsequent eingehalten. Am Pult des mit Walzern vertrauten Volksopernorchesters steht der aus Aschaffenburg stammende Kai Tietje, der mit kräftigem Klang den Sängern einiges an Stimmkraft abverlangt. Aber er kann sich auf die in Berlin geborene Annette Dasch als Jeanne verlassen. Sie setzt sich mit ihrer sicheren Stimme sogar in Situationen durch, die anderen Sängerinnen wohl den Atem rauben würden. So wird sie in einer unangenehm anmutenden Szene von einem Verehrer beinahe vergewaltigt, singt aber trotz heftigster Händel ungerührt weiter. Dessen dürfte sich auch Jan Philipp Gloger (geb. in Hagen) bewusst gewesen sein, dessen Regie einen gewaltigen Zeitrahmen erkennen lässt. Auf der Bühne drehen sich die Schauplätze in einem Guckkasten, der vom Modenhaus über das ärmliche Künstlerquartier des René Lavallery (der ansprechende Tenor Lucian Krasznec) bis zu den prächtigen Räumen in Schloss Versailles liebevoll eingerichtet ist.
Die bei der strengen Putzmacherin Madame Labille (Ulrike Steinsky, die als Marschallin von Luxemburg nobel schönbrunnerisch näselt) angestellten Mädels sind in ihren ungenierten Reden jedoch ganz und gar gegenwärtig, ungeachtet mancher Kostüme, die durchaus wieder in das französische 18. Jahrhundert verweisen. So wirbt Wolfgang Gratschmaier als authentisch gewandeter Marquis de Brissac um die kleine Margot (Juliette Khalil) und beide stehen einander in umwerfender Komik um nichts nach. Graf Dubarry (Marco Di Sapia) wechselt zwar in seinen Auf- und Anzügen zwischen gestern und heute, schafft es dennoch, die von ihm entdeckte Jeanne Beçu dem König zu offerieren. Alles hat auf diesen Moment gewartet: Als Ludwig XV. erscheint Harald Schmidt. Die Late-Night-Show mit der Gesprächspartnerin Madame Dubarry kann beginnen. Der Talkmaster fühlt sich in dieser Rolle pudelwohl und lässt verschmitzt Gag auf Gag von der Leine. Allein diese Szene ist es wert, sich diesen Historienschwank „reinzuziehen“, wie es im Jargon von Netflix-Consumern heißt, bereichert mit der Draufgabe wunderschöner, im Grunde zeitloser Musik. Statistik |