Kultur und Weindas beschauliche MagazinKatia Ledoux (Carmen), Tomislav Mužek (Don José) © Barbara Pálffy/Volksoper Wien CARMEN Corrida mit Rosen und Jubel zum Femizid
Der französische Schriftsteller Prosper Mérimée hat in einer Novelle die Grundzüge der Handlung vorgegeben, die von Henri Meilhac und Ludovic Halévy von deutlich rassistischer Abneigung gegen die in Frankreich sogenannten Gitanes (Roma bzw. Sinti) einigermaßen bereinigt und für das Libretto der Oper Carmen umgeschrieben wurde. Geblieben ist die verführerische Frauengestalt, die den an sich zu Gewalt neigenden Soldaten Don José bis zur Desertion und am Ende zum Eifersuchtsmord reizt. Georges Bizet hat dazu die für damalige Verhältnisse revolutionäre Musik komponiert und eine der meistgespielten Opern geschaffen, wenn auch gegen zähe Widerstände seiner Zeitgenossen, die sich mit dieser ungeschminkten Darstellung von Realität auf der Bühne wenig anzufangen wussten. Seither inspirierte dieses ungleiche Paar zu unzähligen Interpretationen. Sie reichen vom gewissenlosen Vamp und einem auf die schiefe Bahn geratenen braven Mann bis zur Heldin, die gnadenlos die Schwächen des angeblich starken Geschlechts aufzeigt.
Wenn die Chefin der Volksoper, Lotte de Beer, selbst Regie führt, scheint von vornherein klar zu sein, wer die Guten und wer die Bösen sind. Sie geht dabei so weit, den Mord an Carmen als Ende einer Corrida zu deuten und der Frau die Rolle des in der Arena erstochenen Stieres zu geben. Aus den Logen eines Theaters verfolgt der Chor ab der Hälfte des Stücks als Pseudopublikum das Geschehen. Bei Carmens Ableben werden jubelnd Rosen geworfen. Um die Absurdität dieser Situation zu unterstreichen tanzen Mitglieder des Wiener Staatsballetts als putzige Toreros verkleidet mit lächerlich zierlichen Schritten um den brennend eifersüchtigen José und eine für ihre Freiheit kämpfende Frau. Damit ergeben sich zwei völlig unterschiedliche Teile dieses Abends. Der Anfang ist eher konventionell, mit einem Straßenbild von Sevilla vor der Zigarettenfabrik (werden dort die berüchtigt starken Gitanes erzeugt?). Der Gastgarten der Taverne (über Sesseln und Tischen funkeln die Sterne) bietet ebenfalls eine nachvollziehbare Situation. Die Schlucht im Schmugglercamp wurde jedoch bereits auf einen stilisierten Felsen reduziert. Dahinter erhebt sich bis zum Schluss das Theater auf der Bühne. Das gibt zu denken und sorgt für Diskussionen, die wohl im Sinn der Regisseurin sind.
Am Pult des Volksopernorchesters legt Ben Glassberg mit auffallend zündendem Tempo los, bietet in der Folge aber dem auf Französisch singenden Ensemble eine solide Unterlage. Mit frischen Stimmen legen Alexandra Flood (Frasquita) und Sofia Vinnik (Mercédés) die Karten, die den Tod von Carmen voraussagen. Alexander Fritze ist ein resoluter Leutnant Zuniga, der jedoch von den Schmugglern Remendado (Karl-Michael Ebner) und Dancaïro (Marco Di Sapia) in der Kaschemme eine Niederlage einstecken muss. Mit breitem Bassbariton wirft sich Josef Wagner als Escamillo wuchtig in den Kampf gegen den Toro und um die Liebe von Carmen.
Matilda Sterby (Magda de Civry), Timothy Fallon (Prunier), Rebecca Nelsen (Lisette) © Barbara Pálffy/Volksoper Wien LA RONDINE Melodiöser Flug der verliebten Schwalbe
Schuld am ganzen ist nur der Dichter. Seiner Phantasie entspringen die tollsten amourösen Verwicklungen. Er infiziert mit dem Liebesvirus ausgerechnet eine Lebedame, die daraufhin ihrem unmoralischen Lebenswandel entsagt, ihren reichen Geldgeber verlässt und dem jungen Geliebten folgt. Klar, das kann nicht gut gehen, vor allem dann, wenn sich die Mutter des jungen Mannes eine Schwiegertochter mit untadeligem Lebenswandel wünscht. Viele Operetten sind aus ähnlichem Material geschnitzt, Giacomo Puccini verlangte von seinem Librettisten Giuseppe Adami jedoch einen Text, der wie in einer Oper durchgehend zu vertonen ist. Damit ist „La rondine“ (die Schwalbe) ein Zwitter geworden, der es damit gebüßt hat, dass er eher selten das Licht der Bühnenscheinwerfer erblickt. Dazu kommt, dass es die Musen mit dem Komponisten nicht wirklich gut meinten und ihm den großen Wurf in den Melodien versagten. Entstanden ist ein nettes Stück Musiktheater, mit eher historischem als musikalischem Wert.
Dass es trotzdem ein wunderbar unterhaltsamer Abend in der Volksoper geworden ist, ist nicht zuletzt der Regie von Lotte de Beer zu verdanken. Keine schrägen Mätzchen, keine unmotivierten Zeitsprünge und keine verstörenden Abirrungen, stattdessen überraschend humorige Ideen und ein sehr gutes Ensemble, das ist das zufriedenstellende Fazit dieser Produktion. Die Leitung am Pult obliegt Alexander Joel, der das Volksopernorchester Puccini mit wienerischem Einschlag gekonnt mischen lässt. Nun zum einzelnen: Der Dichter Prunier, ein gemütlich beleibter Kerl (bereits ein Publikumsliebling: Timothy Fallon), treibt in der Pariser Gesellschaft um 1860 sein poetisches Unwesen. Er selbst liebt Lisette, die Haushälterin seiner Gastgeberin Magda. Aber, so sein Jammer, bei seiner Reputation darf er nur reiche Frauen begehren. Lisette ist diesbezüglich anderer Ansicht.
Ensemble, Chor der Volksoper Wien, Wiener Staatsballett © Werner Kmetitsch / Volksoper Wien DIE LUSTIGE WITWE Pontevedros wunderbare Rettung
Kritische Geister haben schon seit Längerem festgestellt, dass dieser Stoff der Wokeness unserer aktuellen Gesellschaft nicht entspricht. Da ist von den Weibern die Rede, in fast unerträglicher Wiederholung dieses despektierlichen Ausdrucks für Frauen. Gemeint sind damit Nachtclubtänzerinnen, die angeblich nichts anderes im Sinn haben, als in die Jahre gekommene Herren auszunehmen, Ehegattinnen, die ihre Männer nach Strich und Faden betrügen, und eine zu sagenhaftem Reichtum gekommene Witwe, die sich von ganz unten nach ganz oben geheiratet hatte. Wenn man aber ein wenig genauer in das Libretto von Victor Léon und Leo Stein hineinblickt, entdeckt man einen Haufen dummer männlicher Wesen, gegen die jede dort vorkommende Frau eine Intelligenzbestie ist. Damit ist, so kann man beruhigt feststellen, ein Gleichstand zwischen den Geschlechtern erreicht. Nichts steht mehr im Wege, Franz Lehárs grandiose Komposition zu „Die lustige Witwe“ unvoreingenommen zu genießen.
Um bei der Musik zu bleiben: Ben Glassberg steht am Pult des Volksopernorchesters und zaubert wundervolle Klänge, wohl mit wienerischer Unterstützung der vor ihm im Graben Musizierenden. Wem bei „Lippen schweigen, s´ flüstern Geigen“ nicht das Herz aufgegangen ist, der muss ein Rüpel sein, so schön wurde dieser Walzer bei der Premiere gespielt; mit der deutlichen Verzögerung der Drei im Takt. Bis es jedoch so weit ist, muss eine nicht unkomplizierte Handlung umgesetzt werden.
Als Baron Mirko Zeta versucht Szymon Komasa die maroden Finanzen seines Heimatlandes zu sanieren. Dabei merkt Herr Botschafter nicht, dass seine Frau, die Französin Valencienne, längst ein Gspusi mit dem Maler Camille (ein junger Tenor, den man sich merken sollte: Aaron-Casey Gould) lustvoll betreibt. Sie ist doch eine anständige Frau, lässt ihn Hedwig Ritter glauben und notiert es sicherheitshalber auf ihrem, vom Liebhaber kompromitierend signierten Fächer.
Myrthes Monteiro (Anita), Ensemble © Marco Sommer / Volksoper Wien WEST SIDE STORY Sparsame Ausstattung, opulente Wirkung
Die traurigste Liebesgeschichte wohl der ganzen Geschichte bewegt seit Urzeiten die Herzen – obwohl, daraus gelernt hat bis heute niemand. Nicht erst William Shakespeare hat sie für sich entdeckt, aber er hat Romeo und Julia zum Allgemeingut der Menschheit gemacht. Ihm sind unzählige Autoren gefolgt, auch Arthur Laurents und Stephen Sondheim, die die Story nach New York City verlegt haben, in einen düsteren Teil der West Side von Manhatten. Die Musik dazu hat ein ganz Großer geschrieben. „West Side Story“ wird gemeinhin als Musical bezeichnet. Leonard Bernstein hat damit aber weit mehr geschaffen, eher eine Symphonie des 20. Jahrhunderts mit rasend vertrackten Rhythmen und einer den Klängen immanenten komplizierten Harmonik. Trotzdem geht diese Komposition wie kaum eine andere ins Ohr, denn die Melodien, bei denen es um das Wesentliche des Inhalts geht, fliegen den Zuhörern zu wie prächtige Vögel. Sie machen Lachen und Weinen, erregen den Zorn auf den Hass an sich und erzählen von einer Liebe, die nicht imstande ist, Katastrophen zu verhindern.
Mit dieser Produktion hat Lotte de Beer einen Goldgriff getan. Sie hat selbst Regie geführt und dieses Werk in beachtlicher Qualität umgesetzt. Auf Kulissen wie die Freiheitsstatue in der Ferne, verkommene Häuserfassaden, Feuerleitern oder verdreckte Reklameschilder wird verzichtet. Das Schwarz des Hintergrundes reicht (abgesehen vom „Place to be“) völlig aus, um mit Licht und ein paar wenigen Requisiten die Schauplätze zu markieren (Bühnenbild: Christof Hetzer). Den Rest besorgen ohnehin die Darsteller. Mitreißende Tanzszenen der Jets und der Sharks lassen das Temperament überquellen (Choreographie: Bryan Arias). Von Riff (Oliver Liebl), der lästigen Anybody (Melanie Böhm) über den streitsüchtigen Bernardo (Lionel von Lawrence) bis zum schießwütigen Chino (James Park) sind alle diese Gesangsrollen solide besetzt. Die Mädchen, ob die blonden Girls der Sharks oder die glutvollen Puoertoricanerinnen, sind nicht nur eine Augenweide, sie verstehen es auch, trefflich zu tanzen und zu singen.
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