Kultur und Weindas beschauliche MagazinMartin Winkler (Sir John Falstaff), Ensemble © Barbara Pálffy/Volksoper Wien DIE LUSTIGEN WEIBER VON WINDSOR Komisch, fantastisch, feministisch
Die Männer kommen in dieser Oper nicht gerade gut weg. Das hat schon William Shakespeare so gewollt, dann der Librettist Salomon Hermann Mosenthal und nicht zuletzt die Regisseurin Nina Spijkers. Warum auch? Allein dieser Sir John Falstaff ist ja wirklich ein Ekel. Er säuft wie ein Loch, macht Schulden und ist von seinen Gonaden gesteuert. Er hätte es sich überlegen müssen, den beiden Damen Reich und Fluth gleichzeitig in einem Brief ein Techtelmechtel anzubieten. Man sieht, der gute Mann hat trotz seiner sexuellen Umtriebe im Grund keine Ahnung von Frauen. Er hätte wissen müssen, dass ein solcher Antrag betratscht wird und sich kein noch so lustiges Weib eine solche Unverschämtheit gefallen lässt. Er ist aber nicht der einzige Trottel. Herr Fluth ist von Eifersucht zerfressen und macht sich zum Narren, ebenso wie die beiden etwas unterbelichteten Traumschwiegersöhne von Herrn und Frau Reich. Aber was sollte ein aufgewecktes Mädchen wie Anna mit einem dümmlichen Junker Spärlich und einem von sich eingebildeten Dr. Cajus anfangen? Die Frauen verfügen nicht nur über anziehende Reize, sondern auch über entsprechende Listigkeit, um diese Melange an männlicher Unzulänglichkeit aufzumischen und zu ihrem Besten zu führen.
Mit der wie deutscher Sekt schäumenden Musik von Otto Nicolai und der Inszenierung der Niederländerin Spijkers wird diese Oper zum gehobenen Spaß, in dem die eingearbeiteten feministischen Botschaften, oder mit der Regisseurin gesagt, „weichen Kräfte“ alles andere als einen Krieg der Geschlechter vom Zaun brechen. Das Bühnenbild von Roe Smith ist raffiniert praktisch. Dass sich während der Ouvertüre (souverän: Ben Glassberg am Pult des Volksopernorchesters) Frauen übermütig auf einer Blumenwiese kugeln, legt bereits die erfrischende weitere Gangart fest. Dieser folgen Chor und Ballett immer mit dem diesem Stück immanenten Humor.
Timothy Fallon (Friedrich Quant), Wiener Staatsballett © Barbara Pálffy/Volksoper Wien DIE LETZTE VERSCHWÖRUNG als musikalisch „wahrhafte“ Satire
Moritz Eggert nennt sein Werk eine „Mythos-Operette“. Viele, viele Jahre nach der Uraufführung der letzten klassischen Operette sind die Erwartungen bei solch einer Ansage natürlich gespannt. Nach zweieinhalb Stunden (mit Pause) hat sich herausgestellt, dass diese Genre-Zuordnung gar nicht so falsch ist. Es ist ein Heidenspaß, eine Parodie – nicht auf die Operette, sondern auf die Schwurbelei, die uns im Zuge der Pandemie als erschwerendes Leiden beschert wurde. Von Eggert stammen sowohl, das – wenn man so sagen darf – Libretto und die Musik. Im durchaus wohlklingend tonalen Satz bietet sich eine zeitgemäße Komposition, die – ungewöhnlich für moderne Partituren – ein Zuviel an Dissonanzen vermeidet, sondern in gewagter Harmonik mutige Effekte schafft. Gefordert sind die Solisten, denen nicht der Gefallen von ohrwurmigen Arien gemacht wurde. Sie sind auf abstrakte Melodien über dem deutschen Text beschränkt, der über der Bühne zum Mitlesen läuft. Der Inhalt ist, wie schon gesagt, eine launige Aufzählung aller möglichen Verschwörungstheorien, denen der eine Mutige entgegentritt, um am Ende zu einer Art Wahrheit zu finden, stets mit dem Auftrag an das Publikum, das alles nicht wirklich ernst zu nehmen.
Gemeinsam mit Lotte de Beer als Regisseurin und einem fantastischen Bühnenbild von Christof Hetzer wurde „Die letzte Verschwörung“ in der Volksoper umgesetzt. Endlich ein neues Werk! Der Jubel war entsprechend groß, zumal das Unternehmen ausgezeichnet gelungen ist. Am Pult steht Steven Sloane, der es virtuos versteht, Orchester und das turbulente Geschehen auf der Bühne auf Linie zu halten. Ein Ballett in silbernen Anzügen vermittelt den Anschein von Utopie und hat dennoch keine Scheu vor dem Can-Can. Jakob Semotan schafft als Alois Dunkler Wiener Operettenflair, wenn er Pralinen ans Krankenbett bringt und den Patienten mit dem Satz „a echter Weana geht net unter“ aufmuntert. Er ist längt einer von denen, die die Menschheit an sich reißen wollen und sich dazu mit geheimnisvollen Zeichen verständigen.
Regula Rosin (Golde), Wiener Staatsballett © Barbara Pálffy/Volksoper Wien ANATEVKA Wiederaufnahme eines Erfolgsgaranten
Scholem Alejchem war das Pseudonym des 1859 in Kiew geborenen und 1916 in New York verstorbenen Dichters Scholem Jankew Rabinowitsch. Von ihm stammen die zu einem Roman verbundenen Erzählungen um die Person des Tevje, des gewitzten und dennoch mit seiner Armut hadernden Milchmannes in der Ukraine, damals noch Teil des russischen Zarenreiches im ausgehenden 19. Jahrhundert. Joseph Stein, ein US-amerikanischer Dramatiker, bediente sich dieser Episoden und schmiedete daraus das Libretto eines Musicals. Sein Landsmann Jerry Bock schrieb dazu die Musik und Sheldon Harnick die Gesangstexte. 1964 erblickte das kleine Städtel Anatevka das Licht einer Broadwaybühne in New York. Innerhalb von kürzester Zeit hat es die Welt erobert und erfreut seither den Goi ebenso wie den Juden. Die wesentliche Aussage ist mit einem Wort zu sagen: Tradition! Sie ist die Maxime von Tevje, der im Lauf der Handlung einsehen muss, dass an ihr die Zeit nicht spurlos vorüber gegangen ist. Mehr und mehr wird sie aufgeweicht oder sogar gebrochen, bis am Ende eine armselige Schar von heimatvertriebenen Juden in einer Welt, die über diese Traditionen bestenfalls noch lächeln kann, zerstreut wird.
Der deutsche Spezialist für Musicals, Matthias Davids, hat Anatevka 2003 für die Volksoper inszeniert. Es hat nichts von seinem traurigen Reiz verloren; der Himmel dräut noch immer düster Unheil verheißend über dem Dorf, in dem gefeiert, getanzt und geheiratet wird wie eh und je, der Wachtmeister (Nicolaus Hagg) drangsaliert mit Unschuldsmiene die Leute und Cristian Ruscior ist auch in der 74. Vorstellung ein souveräner Fiddler on the Roof. Etliche der Darsteller und auch Dirigent Freddie Tapner feierten ihr Debüt in der Wiederaufnahme am 23. Februar 2023. So ist Dominique Horwitz ein kraftstrotzender Tevje, der jedoch noch nicht so ganz die jüdische Chuzpe inhaliert hat, ebenso wie seine Golde, solid gespielt und gesungen von Regula Rosin. Ganz im Gegensatz dazu kommt Jente (Martina Dorak) als Heiratsvermittlerin langjährige Routine in dieser humorigen Rolle zugute. Aber was soll´s? Es wird sich alles einschleifen, denn mit diesem Garanten für ein ausverkauftes Haus kann eigentlich nichts schief gehen, noch dazu mit dem Mehrwert von Gedankenanstößen zu allseitiger, unausrottbarer Verbohrtheit zwischen uns Menschen. Wiener Staatsballett, Ensemble, Chor © Barbara Pálffy/Volksoper Wien ORPHEUS IN DER UNTERWELT Launiger Unterricht in antiker Mytholgie
Diese Inszenierung muss man sich mehrmals anschauen und nicht einmal dann darf man sich sicher sein, alle die lustigen Einfälle von Spymonkey wirklich mitbekommen zu haben. Hinter diesem Kollektiv verbirgt sich ein englisches Comedy-Ensemble, das als Wahlverwandtschaft nicht zufällig Monty Python angibt und sich mit ähnlich schräger Auffassung an der von Haus aus unernsten Opéra bouffe von Jacques Offenbach abarbeitet. Damit tobt in der Volksoper unter dem Titel „Orpheus in der Unterwelt“ eine respektlose Mischung aus britischem Humor, französischer Sinneslust und frischfröhlicher Verarschung antiker Götter. Ein ernsthaft lustvoll aufspielendes Ensemble und das seriös die Partitur umsetzende Orchester unter der Leitung von Alexander Joel bewahren den Spaß vor einem Umkippen in hemmungslosen Klamauk. Man darf also ungeniert lachen, wenn der schreckliche Zerberus auf der Bühne ein mordsdrum Häufchen hinterlässt, das den per Metamorphose in eine Fliege verwandelten Jupiter (Marco Di Sapia hat das Verhalten dieses Insekts genau studiert) ständig vom Ziel seiner erotischen Wünsche ablenkt. Dieser an der Grenze zum Unappetitlichen schrammende Gag steht programmatisch für Einfälle wie die herrlich komische Schur der Ballett tanzenden Schafe, einem aufdringlichen Jacques Offenbach (Marcel Mohab), der sich in der Staatsoper wähnt und ein Denkmal in Wien fordert, sowie einer vielbeinig schwebenden Öffentlichen Meinung (Ruth Brauer-Kvam), die an der ganzen Misere um Orpheus letztlich die Schuld trägt.
Hedwig Ritter beeindruckt als die vom korpulenten Pluto (Timothy Fallon) ins Totenreich entführte Eurydike. Es ist ein Vergnügen, ihr und dem ungeliebten Ehemann Orpheus (Daniel Kluge) beim Streiten zuzuhören; einfach zwei beeindruckende Stimmen, die ihre Schmutzwäsche vor sehr menschlich agierenden Gottheiten waschen. Göttermutter Juno (Ursula Pfitzner) webt mit einem Haarturm wie Marge Simpson durch den Olymp, um sich vor Diana (Jaye Simmons), Minerva (Susanne Gschwendtner) und Venus (Katia Ledoux) als die Betrogene zu blamieren. Den Herren Aaron Pendleton als Mars, Jakob Semotan als Merkur und dem in seiner Erinnerung an die Zeit als Prinz von Böotien (im Original: Arkadien) gestutzten Sebastian Matt als Hans Styx scheinen derlei Querelen egal zu sein. Gäbe es Juliette Khalil nicht, man müsste sie erfinden. Ihr Cupido flattert frech und fein singend durch die Reihen von Unsterblichen, die nichts anderes im Sinn haben, als endlich ein anderes Menü als Nektar und Ambrosia vorgesetzt zu bekommen. Wer sich nach einer derart launigen Lehrstunde nichts mit der antiken Sagenwelt anfangen kann, der hat das Programmheft nicht gelesen. Dort finden sich bedeutungsvolle Sätze wie Jupiters Ehrenrettung der Mythologie: „Wahren wir den Schein. Das ist die Hauptsache!“ Statistik |