Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Robert Stuc (Kabe), Hans-Jürgen Betram (William Snelgrave) © Bettina Frenzel

Robert Stuc (Kabe) © Bettina Frenzel

ONE FLEA SPARE Nur eine Laus, bedrückend wie ein Albtraum

Fanny Altenburger, Hans-Jürgen Bertram © Bettina Frenzel

Fanny Altenburger, Hans-Jürgen Bertram © Bettina Frenzel

Dramatische Erinnerungen an das, was tausend Mal schlimmer sein hätte können...

Drinnen Quarantäne, draußen sterben die Menschen wie die Fliegen. Das alte Ehepaar Snelgrave hadert mit seinem Dasein in dem mit Brettern verschlagenen Heim. Noch fühlt man sich einigermaßen sicher vor einer Ansteckung, bis eines Tages zwei Eindringlinge im Raum stehen und deutlich zu erkennen geben, dass sie bleiben wollen. Es stellt sich bald heraus, dass auch der Mann, ein Matrose, und das Mädchen, angeblich die Tochter einer bekannten Familie, der Krankheit bisher ausweichen konnten. Trotz der gesellschaftlichen und moralischen Unterschiede beschließt man nolens volens, gemeinsam diese tödliche Zeit zu überstehen. Die daraus zwangsläufig entstehenden Spannungen trüben das Zusammenleben und führen über wachsende Auseinandersetzungen bis zum bitteren Ende. Die britische Autorin Naomi Wallace führt in „One Flea Spare“ (Nur eine Laus) das Publikum ins 17. Jahrhundert, gnadenlos direkt in eine Pestepidemie in London. Wer nun an einen literarischen Ausfluss der jüngst von uns durchgemachten Pandemie denkt, liegt falsch. Die Uraufführung fand am 18. Oktober 1995 im Bush Theater (London) statt. Es hat lediglich bis 2023 gedauert, dass dieses Stück mit dem Theater zum Fürchten nach Wien und damit zu erschreckender Aktualität gekommen ist.

Hans-Jürgen Bertram, Bálint Walter © Bettina Frenzel

Hans-Jürgen Bertram, Bálint Walter © Bettina Frenzel

Christina Saginth, Hans-Jürgen Betram, Fanny Altenburger © Bettina Frenzel

Christina Saginth, Hans-Jürgen Betram, Fanny Altenburger © Bettina Frenzel

Regisseur Stephan Bruckmeier hatte also das Original, das sich am Tagebuch eines gewissen Samuel Pepys aus 1665 orientiert haben könnte, und die persönliche Erfahrung mit der Angst vor Corona als Anregungen für seine beeindruckende Inszenierung, die mit den historischen Kostümen von Anna Pollack noch wesentlich dichter wird. Unter dem von Marcus Ganser kühl eingerichteten Wohnraum der Familie Snelgrave brodelt es; wie giftige Dämpfe steigt Rauch auf und zieht sich beißend in den Zuschauerraum. Die erste Person, die sich in diesem gespenstischen Qualm zu erkennen gibt, ist die noch jugendliche Morse. Sie stammelt angstvoll von jüngst überlebten Geschehnissen und deutet deren fatalen Ausgang an. Fanny Altenburger macht den Horror deutlich fühlbar.

Sie lässt ihn aber wieder vergessen, wenn sie als aufgeweckt goschertes Mädchen erscheint, nahezu gleichzeitig mit András Sosko (alternierend Bálint Walter) als Bunce, der bereits mit William und Darcy Snelgrave über sein Bleiberecht verhandelt. Hans-Jürgen Bertram ist der gestrenge Hausherr, der ihn in gewohnt überheblicher Manier eines Befehlenden zum Aufwischen des Bodens mit Essig einteilt. Darcy erhält mit Christina Saginth die Zerbrechlichkeit einer Frau, die mit Siebzehn von einem Feuer verunstaltet wurde und seither schwere Verbrennungen am ganzen Leib trägt. Zögernd versucht sie, die Aufmerksamkeit seitens Bunce in eine Annäherung umzusetzen. Beinahe unglaublich ist die Authentizität, mit der Robert Stuc als seltsame Amtsperson Kabe die Einhaltung der strengen Regeln überwacht. Der dürre Alte ist bestechlich, verkündet mit sadistischer Wonne die unerbittlich wachsende Anzahl der jüngsten Opfer und scheint als einziger immun gegen Pest und Tod zu sein, der zuletzt auch im Hause Snelgrave seinen unvemeidlichen Einzug hält.

Christina Saginth, Fanny Altenburger © Bettina Frenzel

Christina Saginth, Fanny Altenburger © Bettina Frenzel

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