Kultur und Weindas beschauliche MagazinIrem Gökçen, Friederike Tiefenbacher © Marcel Urlaub / Volkstheater ÖL! Der böse, böse Sprit unseres Daseins
Upton Sinclair (1878-1968) war ein ungemein produktiver Autor, dessen Ideen nahezu unerschöpflich wie eine kalifornische Ölquelle sprudelten. Sein auch in Europa bekannter Roman „Oil!“ erschien 1927. Die Namensgleichheit mit dem Unternehmen Sinclair Oil dürfte ein Zufall sein. Die in dem Buch erzählte Geschichte entzaubert den amerikanischen Mythos vom allgewaltigen Segen des Erdöls, sie schildert anschaulich und mitreißend das gewissenlose und erfolgreiche Vorgehen der Ölbarone in der Person von J. Arnold Ross ebenso wie frühe Gegnerschaften und gegen diesen Rausch aufkeimende Bedenken seitens seines Sohnes Bunny und erster Mitstreiterinnen. Man sollte das Werk allerdings gelesen haben, bevor man sich der Bühnebearbeitung von Sascha Hawemann und Anne-Kathrin Schulz im Volkstheater aussetzt. Sie degradiert die literarische Vorlage zu einer Rahmenhandlung und versucht in einer wenig logischen Aneinanderreihung von Szenen, einer Art krampfhaft lustiger Sketches, Probleme wie Erderwärmung, Kriege, Faschismus oder soziale Missstände sicht- und hörbar zu machen. Ist ja alles gut gemeint, genauso wie die Aktionen der Klimakleber, nervt aber auch gutwillige Zeitgenossen, da keine Lösung angedacht oder in emotionalen Vorträgen von der Rampe zur Diskussion gestellt wird.
Die Bühne (Wolf Gutjahr) bietet ein in diesem Haus bereits gewohntes Chaos, ähnlich einem unaufgeräumten Kinderzimmer mit Minibohrtürmen auf dem mit Federn überdeckten Boden vor einem aufdringlich bedeutsam strahlenden Kreuz. Von dort geht´s hinauf zu riesigen Projektionsflächen mit schlecht synchronisierten Videos (die Mundbewegungen gehen dem Ton deutlich voran, wofür der umtriebige Georg Vogler an der Livecam das wenigste kann) zurück zu Darstellern, deren Fähigkeiten nicht selten auf dümmliches Kasperln reduziert werden.
APOKALYPSE MIAU von Kristof Magnusson / Regie Kay Voges Ensemble © Birgit Hupfeld APOKALYPSE MIAU Ein schwarzes Loch frisst das Theater Kaum eine andere Community spiegelt deutlicher gesellschaftliche Diversität als eine zufällige Versammlung von Theaterleuten. Für ein solches Meeting schien dem isländisch-deutschen Schriftsteller Kristof Magnusson eine Preisverleihung als der ideale Ort, um Eitelkeiten, seltsame Ideale, allerhand kuriose Moden und reinsten Egoismus auf großer Bühne zu zelebrieren. Das Publikum wird mit einer Komödie angelockt, um den hemmungslos sich selbst Feiernden entsprechenden Applaus zu sichern. Dass der rote Teppich schlussendlich in den Weltuntergang führt, ist nur ein Gag, der sich aber zum Träger einer an sich knappen Handlung auswächst. „Apokalypse Miau“ lässt knapp drei Stunden anhand der Verleihung dieser Auszeichnungen darüber schwanken, ob man lachen darf, wenn um Nebensächlichkeiten wie Gendern, Veganismus oder Leuchtstifte im Arsch von Tänzern erbittert gestritten wird. Oder ist eher Weinen angesagt, wenn Teile eines Meteoriten krachend die Stadt treffen, Häuser in Flammen aufgehen und der Strom mitsamt dem Internet ausfällt. Unwillkürlich stellt sich eine Ahnung ein, dass es so und nicht anders derzeit in Cherson oder Kiew nach Bombardements durch Putins Raketen zugehen muss. Michael Sieberock-Serafimowitsch hat für das Volkstheater die Bühne dieser üppigen Satire gestaltet. Zuerst darf ganz unbedarft geklatscht werden, wenn Evi Kehrstephan als unerschütterlich optimistische Moderatorin Bonnie van Klompp mit dem üblichen strahlenden Gesicht hartnäckig den Genetiv des „Destroy Preis“ ignoriert. Charmant begleitet wird sie von Irem Gökçen und Magdalena Simmel, die später als reizend piepsende Teletubbies jede noch so angespannte Atmosphäre – winke, winke – auflockern. Aufklärung über die tatsächlichen Befindlichkeiten gibt es erst, wenn die Protagonisten in der Lounge auf ihren großen Auftritt warten. Vor dem großen Fenster mit grandioser Aussicht auf die Stadt erinnert sich der Vertreter unerbittlichen Regietheaters, Wenjamin Olinde (Andreas Beck), mit der von Träumen zur Weltverbesserung besessenen Kollegin Meta Gleiberg (Anke Zillich) an eine epochale Faust-Inszenierung im Stadttheater St. Pölten.
DER WÜRGEENGEL frei nach dem gleichnamigen Film von Luis Buñuel / Regie Sebastian Baumgarten Ensemble © Marcel Urlaub DER WÜRGEENGEL als Versuch einer surrealen Inszenierung
Man könnte schwindelig werden. Unablässig dreht sich die Bühne, die Räume darauf sind mit irritierenden Tapetenmustern bedeckt und über der Szene verwirren riesige Spiegel das Auge (Gestaltung: Tobias Rehberger). Vom Licht her findet eine Farbenschlacht statt, die den stiefmütterlich behandelten Inhalt des Stückes an sich reißt und ihn in der jungen Tradition des Volkstheaters, nennen wir ihn den VoT-Repeat, in einem Stakkato von enervierend wiederholten Sätzen erschöpfen lässt. Schließlich geht es um die Dramatisierung eines Films von Luis Buñuel (*1900, +1983), der mit André Breton oder Salvador Dalí im französischen Surrealismus gearbeitet hat. Die Handlung des ursprünglichen Steifens mit dem Titel „El Ángel Exterminador“ wurde für „Der Würgeengel“ auf die geheimnisvoll in einem Haus gefangene Gesellschaft und deren hilfloses Treiben eingekürzt. Zum Ausgleich gibt es dazu Auszüge aus Buñuels HAMLET, einer zehn Maschine getippten Seiten kurzen „Tragedia cómica“.
Sebastian Baumgarten zeichnet als Regisseur dieses Versuchs einer surrealen Inszenierung verantwortlich. Ihm zu Seite steht ein wahrlich engagiertes Ensemble, das trotz aller Sinnentleertheit nie den Faden verliert. Man darf Andreas Beck, Elias Eilinghoff, Claudio Gatzke, Frank Genser, Evi Kehrstephan, Lavinia Nowak, Nick Romeo Reimann, Julia Franz Richter, Uwe Rohbeck und Friederike Tiefenbacher vor den Vorhang bitten. Dort wirken sie als Gespenst des Vaters, Leticia oder Hamlet nahezu absurd komisch, um bei ihrer Rückkehr auf die Bühne in angedeuteten Dialogen als Arzt, Hauptmann oder die einzige verbliebene Dienstkraft mit Hunger, Durst und einem unterdrückten Sexualtrieb angesichts des Hinterns von Yoko Ono zu hadern. Es ist also, nach einigen Ausrutschern in zugängliche Inszenierungen, wieder gelungen, eine der vielen preisverdächtigen Produktionen dieses Theaters vorbei an einem hartnäckig unverständigen Publikum zu schaffen. Andreas Beck, Claudio Gatzke © Franzi Kreis / Volkstheater FAUST Der eindrucksvoll inszenierte Augenblick
Marcel Urlaub ist Fotograf. Seine Aufgabe ist es, Augenblicke festzuhalten. Es beginnt mit einigen Schnappschüssen in das Publikum, das sich auf der Projektionsfläche erfreut wiedersieht. Das eigentliche Interesse des Mannes hinter der auf 12800 ISO hochgestellten Kamera gilt jedoch dem Ensemble, das für die Umsetzung des Klassikers aller Theaterklassiker zuständig ist. Immerhin geht es um das Festhalten des ganz speziellen Augenblicks, der, weil er so schön ist, verweilen soll. Die Idee dazu stammt von Kay Voges, dem Direktor des Volkstheaters, der sich die Regie für die Tragödie Faust vorbehalten hat. Voges hält sich, abgesehen von einigen Einsparungen wie der Marthe Schwerdtlein, an den von Johann Wolfgang von Goethe vorgegebenen Ablauf der Szenen, inklusive Zueignung, Vorspiel auf dem Theater und Prolog im Himmel. Schon dabei schafft er es, das (zugegebenermaßen skeptische) Publikum zu elektrisieren. Licht und Ton, Gesang und Art der Deklamation großteils originaler Texte lassen einen außergewöhnlichen Theaterabend erwarten. Der Theaterdirektor beherzigt mit ökonomischem Einsatz wirkungsvoller Effekte die Forderung seines vom Dichter erschaffenen Kollegen (Uwe Schmieder): Schonet mir an diesem Tag Prospekte nicht und nicht Maschinen. Gebraucht das groß´ und kleine Himmelslicht, die Sterne dürfet ihr verschwenden.“ Als optischer Kommentar unterstreicht die live eingespielte „Diashow“ konsequent das Gesagte. Andreas Beck tritt schließlich als der mit seinen Studien unzufriedene Dr. Faustus auf, immer begleitet von Frank Genser als sein jüngeres Alter Ego auf der Projektion. Der Monolog kommt so natürlich, als hätte Goethe diesen nicht in Knittelversen, sondern in Prosa verfasst, eine Eigenschaft, die auch die meisten anderen Akteure auszeichnet. Mit sicherer Stimme ist bereits in der Zuneigung die Sängerin Hasti Molavian aufgefallen, muss sich allerdings beim abendlichen Versuch, die Ballade „Der König von Thule“ zum Besten zu geben, von Schmieder als gehässigen Theaterdirektor eine unliebsame Gesangsstunde gefallen lassen. Lavinia Nowak als Ersatzgretchen hat weniger Hemmungen, die von Mephistopheles hinterlegte massive Goldkette an sich zu reißen und ihrerseits mit dem nun verjüngten Faust (Claudio Gatzke) zu flirten.
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