Kultur und Weindas beschauliche MagazinDer Diener zweier Herren, Ensemble © Marcel Urlaub/Volkstheater DER DIENER ZWEIER HERREN Goldoni „revolutionär“ interpretiert
Über dem mittlerweile aufgelassenen Friedhof Sainte-Catherine in Paris gab es kürzlich große Aufregung. Von tief unten drangen vehemente Erschütterungen an die Oberfläche. Die Erklärung: Carlo Goldoni, der virtuose Erneuerer der Comedia de l´Arte, hat sich im Grab umgedreht, als er von der Premiere seines Stückes „Der Diener zweier Herren“ im Wiener Volkstheater Kenntnis erlangt hat. Zu verdanken hat er diese Rotationen dem ausgewiesenen Experten für Bühnenanarchie und Schauspielvirtuosität, Antonio Latella. Er schafft bereits mit einem nicht vorhandenen Bühnenbild die Herausforderung, sich zwischen den schwarzen Wänden eine Piazza in Venedig vorzustellen. Vertraut sind einzig die Geräusche gurrender Tauben und die damit verbundene Angst, dass sie einen auf den Schädel scheißen könnten. Gegen Ende ist auch damit Schluss, da die Vögel verendet massenhaft vom Himmel fallen.
In dieser nicht groß anregenden Szenerie ist ein unglaublich tapferes Ensemble am Werk. Es wird extrem geblödelt, herumgehüpft wie ein Haufen Narren, dabei werden Gesichter geschnitten und die Bewegungen ins vermeintlich Komische übersteigert, während einzelne Sätze bis zur Unerträglichkeit wiederholt werden, und das alles wegen ein paar Lacher. Dazwischen gibt es einen moralinsauren Protestsong gegen Patriarchat und Femizid. Damit sind wir bereits bei Smeraldina und Lisa Schützenberger, die abgesehen davon diese mannstolle Dienerin verkörpert. Irem Gökçen ist eine reizende Clarice, die Silvio ehelichen will. Ihrem Geliebten wird allerdings übel mitgespielt. Mangels eines Degens lässt Mario Fuchs die Hosen herunter, um den angeblichen Rivalen mit seinem Bimmel herauszufordern, bis er daran schmerzlich durch das Geschehen gezerrt wird.
Murali Perumal, Christoph Schüchner, Gerti Drassl, Lavinia Nowak © Marcel Urlaub / Volkstheater DIE (kleine) REDAKTION, die sich mit der großen OMV anlegt.
Es genügt ein Blick auf ihre Seite, um zu erkennen, was investigativer Journalismus imstande ist. Dazu gehört allerdings auch finanzielle Freiheit. Deswegen gibt es bei „Dossier“ keine bezahlte Werbung. Wovon leben die denn dann? Sie haben Leser, die das Druckmagazin kaufen, und vor allem Mitglieder, denen die Arbeit von Chefredakteur Florian Skrabal und seinem Team sogar einen finanziellen Beitrag wert ist. Sie geben freiwillig (online ist ja alles gratis nachzulesen) dafür Geld aus, dass regelmäßig heiße Themen aufgegriffen und einer in die Breite wachsenden Öffentlichkeit präsentiert werden. Calle Fuhr, ein in Düsseldorf geborener Theatermann, hat für das Volkstheater aus der Historie dieses überaus kritischen Portals eine Geschichte für die Bühne aufbereitet, die nun von den Außenbezirken ins Haupthaus übersiedelt ist. Darin geht es im Großen und Ganzen um den Vorstandsvorsitzenden der OMV namens Rainer Seele und dessen Umtriebe und letztlich dessen unrühmliches Ende in diesem halbstaatlichen Konzern.
Murali Perumal (Ashwien), Gerti Drassl (Flo), Christoph Schüchner (Georg) und Lavinia Nowak (Sahel) sind fürs Erste die vier Redaktionsmitglieder, die den Kampf mit dem übermächtig scheinenden Öl- und Gashändler aufnehmen. David gegen Goliath ist ein Euphemismus. Besser beschreibt der Vergleich einer Fliege mit einem Ochsen, der mit dem Schwanz um sich schlägt, das Größenverhältnis. Allein das Gehalt des Herrn Seele übertrifft das Budget dieser Kleinstredaktion um das Millionfache. Unausgesprochen steht dabei die Frage im Raum:
DU MUSST DICH ENTSCHEIDEN!, Regie Kay Voges Ensemble © Marcel Urlaub / Volkstheater DU MUSST DICH ENTSCHEIDEN! in einer hinterhältig grellen Gameshow
Das Setting ist ungemein realistisch. Eine TV-Liveübertragung von „DU MUSST DICH ENTSCHEIDEN! Die Gameshow für Österreich“ ist angesagt. VJ Veal (Max Hammel) und DJ Pig (Fiete Wachholtz) stimmen die Studiogäste, also die Zuschauer, mit glitzernder Stimmungsjacke und entsprechenden Sounds darauf ein und animieren zum Scan eines groß eingeblendeten QR-Codes. Pünktlich erscheint das Moderatorenpaar Michelle Pelosi (Anke Zillich) und Tommy McDonalds (Elias Eilinghoff als Gottschalkverschnitt) und geht straight in medias res. Routiniert werden die vor guter Laune aufgeregt zappelnden Kandidaten vorgestellt. Zwei Millionen Euro liegen bereit, die den Sieger dieses Spiels reich und glücklich machen werden. Die Regeln: Aus jeweils drei Antworten auf eine Problemstellung gibt das Publikum per Handyvoting seine Meinung ab. Mit dem den Älteren vom Kinderfernsehen bekannten Spruch „Ob ihr wirklich richtig steht, seht ihr, wenn das Licht angeht“ haben sich die unschlüssig hüpfenden Damen und Herren für eines von drei Feldern zu entscheiden. Wie richtig ihre Wahl war, entscheidet das Ergebnis der Befragung, die vom DJ verkündet wird. Wer richtig geraten hat, darf als Belohung einen Ball in sein Körbchen werfen.
Was sich lustig anhört, wird im Verlauf des Abends zu einer allgemeinen Entblößung, obwohl sogar Friedrich Schiller aufgeboten wird, um mit knarrender Stimme die einzelnen Themengebiete anzugeben. Es folgt ein Statement mit drei Möglichkeiten einer Antwort. Das Angebot ist jedoch problematisch und wäre ohne ausgiebige Diskussion und Abstimmung mit dem eigenen Gewissen nicht zu bewältigen. Aber es wird auf dem Smartphone frisch drauflos getippt.
MALINA, Ensemble © Marcel Urlaub / Volkstheater MALINA Das Protokoll einer gequälten Seele
Regisseurin Claudia Bauer beschreibt MALINA als einen „Liebesroman aus Notwehr“. Tatsächlich sind es zwei Männer, die um die weibliche Hauptperson eine nicht unbedeutende Rolle spielen. Der eine ist Ivan, ein Lebemann aus der Nachbarschaft, mit dem sie eine intensive Beziehung einzugehen versucht und es mit ihm bis ins Bett schafft. Das Wort Liebe wäre zu stark für dieses Zusammentreffen zweier Menschen, aber es entwickeln sich Gefühle und Sehnsüchte, vor allem aber das Bewusstsein der Erzählerin, der Welt nicht abhanden zu kommen. Das andere männliche Wesen ist MALINA, eine geheimnisvolle androgyne Erscheinung, die sich im Schachspiel als Gewinner und bei der Warnung vor übertriebenem Tablettenkonsum manifestiert. Im Übrigen ist er nicht mehr als ein Mitbewohner in der Ungargasse 6 im dritten Wiener Gemeindebezirk, ohne den sie aber nicht existieren will. Das ist, kurz gesagt, der Inhalt des einzigen Romans von Ingeborg Bachmann, der dennoch für eine Verfilmung und nun für ein Theaterstück gereicht hat. Die Sprache Bachmanns entbehrt jeder Lesefreundlichkeit. Assoziativ reihen sich Gedanken aneinander, tief verwoben in der lyrischen Domäne der Dichterin, schwer verständlich, schillernd und weit weg davon, persönliche Geheimnisse preiszugeben. Um damit über zwei Stunden ein Publikum bei der Stange zu halten, bedarf es einer Fülle an Ideen seitens der Regisseurin. Claudia Bauer setzt auf ein lebhaftes Bewegungsprogramm und zum guten Teil auf Musik. Peer Baierlein hat dafür die Kompositionen geschaffen, die unter dem Dirigat von Alexander Znamensky und den Soundscapes von Igor Gross im Graben vor der Bühne umgesetzt werden.
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